writing & publishing

LESEHILFE ZUM ABKOMMEN ZWISCHEN DER EUROPÄISCHEN UNION UND DER SCHWEIZERISCHEN EIDGENOSSENSCHAFT ÜBER ELEKTRIZITÄT (“STROMABKOMMEN”).

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

A. EINSTIEG.

Wie Sie können Sie mit dieser Lesehilfe ins Stromabkommen einsteigen und sie gezielt nutzen?

  1. Diese Lesehilfe ist direkt nutzbar. Wenn Sie ein Stichwort haben (z. B. „Gemischter Ausschuss“, „Versorgungssicherheit“oder „Altverträge“), suchen Sie es im Text. Jede Passage ist so aufgebaut, dass Sie mit der Suchfunktion (Strg + F) die relevanten Stellen finden.

  2. Wenn Sie sich zuerst orientieren möchten, helfen Ihnen die folgenden Fragen, wie sie sich viele stellen.

  3. Interessiert Sie der Originalwortlaut des Abkommens, finden Sie in Klammern jeweils den Vertragsteil mit dem Seitenbereich (z. B. Teil I: COM(2025)309_6-2, Seiten 8–9). Damit können Sie im Vertrag gezielt nachlesen, wo die entsprechende Bestimmung steht und wie sie lautet.

  4. Den Originalvertrag der EU können Sie hier anschauen (Link).

Welche Fragen können Sie über den Fragenkatalog beantworten?

Sie wollen wissen, worauf das Abkommen beruht?

  • Was ist das Ziel des Stromabkommens?
    siehe Präambel und Teil I, Seiten 1–9

  • Welche Absichten verfolgen die Vertragsparteien?
    siehe Präambel, Seiten 1–7

  • Welche Begriffe und Kategorien sind wie definiert?
    siehe Anhang IV, Seiten 85–92

Sie wollen wissen, wie das Abkommen grundsätzlich funktioniert?

  • Was regelt das Stromabkommen insgesamt? Worin unterscheidet es sich von einem klassischen Vertrag?
    siehe Teil I, Seiten 8–9

  • Welche Teile des Strommarkts sind betroffen? Nur der Handel? Oder das ganze System?
    siehe Teil II, Seiten 10–15

  • Wie umfangreich ist das Abkommen? Welche Abschnitte sind besonders entscheidend?
    siehe Teil I bis Teil VII, Seiten 8–54

Sie wollen wissen, was das Abkommen in der Praxis bewirkt?

  • Was bedeutet dynamische Rechtsübernahme? Wo ist sie geregelt?
    siehe Teil V, Seiten 27–34

  • Was passiert, wenn die Schweiz eine neue EU-Vorschrift nicht übernehmen will?
    siehe Teil V, Seiten 27–34

  • Was ist die Rolle des Gemischten Ausschusses? Wie verbindlich sind seine Entscheide?
    siehe Teil V, Seiten 27–34

  • Wo steht, welche EU-Rechtsakte übernommen werden müssen?
    siehe Anhang I, Seiten 55–84

Sie wollen wissen, was bei Versorgungskrisen, Notfällen oder Netzproblemen gilt?

  • Was passiert im Fall einer Stromkrise oder Netzinstabilität?
    siehe Teil VI, Seiten 22–26

  • Wer entscheidet bei einer Mangellage oder einem Stromengpass?
    siehe Teil VI, Seiten 22–26

  • Was darf die Schweiz in einem Notfall eigenständig unternehmen?
    siehe Teil VI, Seiten 22–26

Sie wollen wissen, wer künftig wie entscheidet?

  • Welche Befugnisse haben EU-Agenturen wie ACER oder ENTSO-E in der Schweiz?
    siehe Teil II und Teil V, Seiten 10–15 und 27–34

  • Wie funktioniert das Schiedsgericht? Wo steht das?
    siehe Teil VI, Seiten 35–43

  • Was passiert bei Streitigkeiten? Wie wird entschieden?
    siehe Teil VI, Seiten 35–43

Sie wollen wissen, wie Streitigkeiten verhandelt und entschieden werden?

Sie wollen wissen, welche technischen und rechtlichen Regeln gelten?

  • Welche technischen Regeln gelten künftig auch in der Schweiz?
    siehe Anhang II, Seiten 85–92

  • Welche weiteren EU-Vorgaben gelten für Plattformen, Netzbetrieb und Marktregeln?
    siehe Anhang I, Seiten 55–84

  • Was passiert mit bestehenden Schweizer Sonderregelungen?
    siehe Anhang VIII, Seiten 123–133

Sie wollen wissen, was für Umwelt, Speicher und Ausbauziele gilt?

  • Was gilt künftig für Umweltauflagen, Speicher, Preise und Krisenmanagement?
    siehe Teil III und Teil VI, Seiten 16–27

  • Wie ist die Rolle der Schweiz bei den EU-Ausbauzielen für erneuerbare Energien geregelt?
    siehe Anhang VI, Seiten 93–100

  • Was heisst das für kantonale Stromversorger oder regionale Modelle?
    siehe Teil III, Seiten 16–21

Sie wollen wissen, was das Abkommen für Subventionen und Beihilfen bedeutet?

  • Was gilt künftig für Stromsubventionen, Preisstützungen und Beihilfen?
    siehe Anhang VII, Seiten 109–115

  • Dürfen Kantone oder Gemeinden weiterhin eigene Stromförderungen betreiben?
    siehe Anhang VII, Seiten 109–115

Sie wollen wissen, wie das Abkommen endet oder geändert werden kann?

  • Gibt es Kündigungsrechte oder Übergangsfristen?
    siehe Teil VII, Seiten 44–54

  • Wie lange gilt das Abkommen? Kann es angepasst oder neu verhandelt werden?
    siehe Teil VII, Seiten 44–54

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

B. SUMMARY.

Das Stromabkommen integriert die Schweiz unter EU-Bedingungen in den Binnenmarkt und bestimmt damit massgeblich das auch in der Schweiz gültige Regelwerk ohne wirksames Mitspracherecht.

Das Abkommen zwischen der EU und der Schweiz bezügliche Elektrizität (siehe Dokument COM(2025)309_6-2.pdf, im Folgenden Stromabkommen) ist kein gewöhnliches bilaterales Abkommen. Es stellt die vollständige institutionelle, regulatorische und technische Integration der Schweiz in den EU-Elektrizitätsbinnenmarkt sicher – bei gleichzeitigem Ausschluss von institutionellen Entscheidungsrechten. Die Schweiz wird funktional Teil der EU-Energieunion, ohne EU-Mitglied zu sein.

  1. Dynamische Rechtsübernahme: Die Schweiz übernimmt künftig automatisch neues EU-Stromrecht. Der sogenannte „dynamische Acquis“ verpflichtet die Schweiz zur fortlaufenden Übernahme von EU-Rechtsakten – insbesondere in den Bereichen Netze, Markt, Umwelt, Cybersicherheit und erneuerbare Energien. Dabei gilt: Die EU entscheidet, die Schweiz folgt.Konsultation ist vorgesehen, aber keine Mitentscheidung. Es entsteht ein faktisches „Followership“-Verhältnis.

  2. Hoher Grad an Steuerungsverlust: EU-Agenturen greifen direkt in den schweizerischen Stromsektor ein. Mit der Einbindung in das EU-Regelwerk erhält die Agentur ACER (Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden) zentrale Aufsichtsbefugnisse – auch gegenüber Schweizer Akteuren. Sie entscheidet bei Streitfällen, genehmigt Methoden und kann technische wie regulatorische Vorgaben durchsetzen. Die Schweiz trägt zur Finanzierung bei, hat aber kein Stimmrecht.

  3. Enge technische Verflechtung: Swissgrid und Schweizer Unternehmen werden vollständig integriert. Das Abkommen verpflichtet die Schweiz zur Teilnahme an europäischen Plattformen für Stromhandel, Netzkoordination, Regelenergie, Engpassmanagement und Versorgungssicherheit. Auch neue Bereiche wie Cybersicherheit und erneuerbare Energien werden harmonisiert. Das führt zu einem tiefgreifenden Umbau der nationalen Steuerungslogik – in vielen Fällen ohne Exit-Option.

  4. Rechtsbindung ohne Ausstieg: Streitbeilegung erfolgt über ein Schiedsgericht, das sich auf EU-Recht stützt. Bei Meinungsverschiedenheiten wird ein Schiedsgericht angerufen, das den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anrufen muss, wenn es um EU-Rechtsakte geht. Die Schweiz unterwirft sich damit einer Rechtsordnung, deren Entwicklung sie nicht beeinflussen kann, die aber ihre nationale Energie-, Umwelt- und Marktpolitik langfristig prägen wird.

  5. Beihilfe- und Umweltrecht: Das Abkommen verlagert weitreichende Zuständigkeiten nach Brüssel. Das Abkommen verpflichtet die Schweiz zur Übernahme zentraler Regelungen des EU-Beihilferechts im Elektrizitätsbereich. Auch das EU-Umweltrecht – insbesondere Natura-2000-Logik und Umweltverträglichkeitsverfahren – wird Bestandteil des schweizerischen Stromausbaus. Dies betrifft insbesondere Wasserkraftprojekte und Netzinfrastrukturen.

  6. Mitwirkung ohne Mitentscheidung: Die Schweiz ist systemisch dabei – politisch bleibt sie draussen. Zahlreiche Gremien, Ausschüsse und Plattformen (ENTSO-E, Koordinierungsgruppen, Marktplattformen, Risikoausschüsse etc.) sehen die Schweiz als Beobachterin oder Teilnehmerin ohne Stimme. Die Mitwirkung ist konstruktiv angelegt – doch der politische Einfluss fehlt. Entscheidungen fallen auf EU-Ebene – die Schweiz muss mitziehen.

  7. Verbindlichkeit ohne politische Kontrolle: Der gemischte Ausschuss übernimmt zentrale Steuerungsfunktionen. Die Weiterentwicklung des Abkommens erfolgt über den „gemischten Ausschuss“, in dem die EU-Kommission eine dominierende Rolle spielt. Die Schweiz kann Konsultationen verlangen – doch im Streitfall gelten Fristen, Automatismen und Mehrheitsentscheide, die einseitige Gestaltungsräume der Schweiz ausschliessen.

Fazit: Das Stromabkommen Schweiz–EU ist ein komplexer Integrationsvertrag mit Systemwirkung. Es geht weit über Stromhandel hinaus: Es betrifft Souveränität, Versorgungssicherheit, Infrastrukturhoheit und politische Gestaltungsspielräume. Die Schweiz wird Teil einer gemeinsamen Rechts-, Markt- und Steuerungsordnung, ohne eigene Letztverantwortung, sprich ohne Mitbestimmung der auch für sie geltenden Regeln. Demokratische Kontrolle wird erschwert, Handlungsspielräume werden enger, Eigenständigkeit wird durch Systemzwänge ersetzt. Das Ganze wird durch die EU gesteuert, die Schweiz wird in die Follower-Rolle versetzt.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

C. VERTRAG.

Präambel – Erwägungsgründe und gemeinsame Zielsetzung – Warum es dieses Abkommen überhaupt gibt – und was die EU und die Schweiz damit bezwecken - Eine Einbindung ohne Mitgliedschaft – die Schweiz wird Teil der Energieunion (COM(2025)309_6-2 Seiten 1 bis 7) (Stichworte: Ziel, Einbindung, Energieunion)

Die Präambel formuliert den übergeordneten Rahmen: Das Abkommen dient der „engen Zusammenarbeit im Elektrizitätsbereich“ zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Ziel ist es, „einen funktionierenden Elektrizitätsbinnenmarkt zu schaffen“ und „die Integration der Schweiz in diesen Markt sicherzustellen“. Die Schweiz wird dabei ausdrücklich als Drittstaat behandelt – erhält aber weitreichende Pflichten.

Was das konkret für die Schweiz heisst:

  • Das Ziel ist keine Kooperation auf Augenhöhe, sondern die Anbindung der Schweiz an den EU-Binnenmarkt Strom – mit möglichst gleicher Wirkung wie bei einem EU-Mitglied. Die Schweiz übernimmt zentrale Grundsätze der Energieunion: Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit, Marktöffnung, Wettbewerb.

  • Der Begriff der “rechtlichen, institutionellen und technischen Integration” taucht mehrfach auf: Die Schweiz verpflichtet sich damit ausdrücklich zur kompletten Einbindung in die Regeln der EU-Stromwelt – ohne Stimmrecht bei deren Weiterentwicklung.

  • Das Abkommen wird als dynamisch angelegt: Es ist kein statisches Regelwerk, sondern verpflichtet die Schweiz, bei Weiterentwicklungen der EU-Regeln laufend mitzuziehen – auch wenn dies neue Auflagen oder institutionelle Eingriffe bedeutet.

  • Die Präambel verweist auf zentrale EU-Politikziele wie Klimaneutralität, Digitalisierung und erneuerbare Energien. Die Schweiz akzeptiert diese strategische Rahmung implizit mit – obwohl sie eigene Energieziele und -instrumente besitzt.

Fazit: Die Präambel zeigt unmissverständlich: Dieses Abkommen ist kein klassisches Handels- oder Kooperationsabkommen. Es ist ein Instrument zur strukturellen und institutionellen Integration der Schweiz in den EU-Elektrizitätsbinnenmarkt. Es schafft Pflichten, nimmt Bezug auf EU-Ziele und etabliert Mechanismen, die über Jahrzehnte hinweg politisch bindend wirken. Wer heute Ja sagt, bindet künftige Generationen an einen Rechts- und Marktbereich, der laufend von der EU verändert wird – mit immer neuen Folgen für Politik, Marktakteure und die Versorgung der Schweiz.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Teil I – Allgemeine Bestimmungen (Art. 1–3) - Was das Stromabkommen ist, was es soll – und wer künftig bestimmt (COM(2025)309_6-2, Seite 8 bis 9) (Stichworte: Stromabkommen, Bestimmungen, Definition, EU-Rechtsrahmen)

Das Stromabkommen verpflichtet die Schweiz vertraglich zur Anwendung von relevanten Teilen des EU-Strombinnenmarkts – mit dem Ziel eines „homogenen“ Markts mit einheitlichen Regeln. Das bedeutet: Die Schweiz akzeptiert nicht nur technische Normen, sondern auch Governance-Prinzipien der EU – inklusive dynamischer Rechtsentwicklung, Marktregeln, Netzbetreibung und Koordination mit EU-Agenturen.

Die grosse Weichenstellung: Das Abkommen ist kein bilaterales Infrastrukturprojekt – es ist ein faktischer Beitritt der Schweiz zu einem institutionell abgestützten Rechts- und Steuerungsregime im Strombereich. Es schafft keine Parallelstruktur, sondern integriert die Schweiz explizit in den EU-Ordnungsrahmen.

Damit wird bereits in Teil I klar: Der Handlungsspielraum der Schweiz ist ab Inkrafttreten des Abkommens systematisch eingeschränkt – nicht nur faktisch, sondern rechtlich.

Artikel 1 – Gegenstand – Ein Stromabkommen mit verbindlichem Ordnungsrahmen: Dieser Artikel erklärt das Ziel des Abkommens: eine „enge Zusammenarbeit im Elektrizitätsbereich“ mit vollständiger Marktöffnung. Entscheidend ist, dass dabei die „Vorschriften des EU-Strombinnenmarkts“ integriert und in der Schweiz wirksam werden. Die Schweiz verpflichtet sich also zum Mitvollzug – nicht nur technisch, sondern auch regulatorisch.

Artikel 2 – Anwendungsbereich – Der Strommarkt in seiner gesamten Breite: Der Artikel dehnt das Abkommen auf sämtliche Aspekte des Elektrizitätsmarkts aus: Erzeugung, Übertragung, Verteilung, Speicherung, Energieeffizienz, Marktmechanismen, Netze, Systemverantwortung. Es geht also nicht nur um grenzüberschreitenden Handel, sondern um das gesamte Funktionieren des Stromsystems – inklusive Binnenregulierung.

Artikel 3 – Begriffsbestimmungen – Schweizer Strommarkt wird unionsrechtlich definiert: Hier wird die EU-Systematik verbindlich: Die Begriffe (z. B. „Verteilernetzbetreiber“, „Marktakteure“, „Versorger“) richten sich nach dem EU-Recht. Das bedeutet eine Harmonisierung der Begriffe, die auch in der Schweizer Gesetzgebung übernommen werden muss – mit weitreichenden Auswirkungen auf Regulierungs- und Zuständigkeitsfragen.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Teil II – Vorschriften zur Teilnahme am Strombinnenmarkt (Art. 4–11) – Die Schweiz wird Teil des EU-Strommarkts – mit weitreichender Aufgabe ihrer Steuerungshoheit (COM(2025)309_6-2, Seite 10 bis 16) (Stichworte: Marktöffnung, ACER, Swissgrid, Binnenmarkt)

Dieser Teil ist das Herzstück des Abkommens: Die Schweiz verpflichtet sich zur vollständigen Marktöffnung, zur Übernahme der zentralen Binnenmarktvorschriften und zur Integration in die EU-Netzsteuerung. Damit verliert sie ihre regulatorische Autonomie im Strombereich weitgehend. ElCom und Swissgrid müssen künftig nach EU-Regeln agieren und sind dabei teilweise der Aufsicht durch EU-Institutionen wie ACER oder die Kommission unterstellt. Politische Eingriffe in Strompreise, Netzprioritäten oder Versorgungspflichten sind nur noch eingeschränkt und unter Vorbehalt europäischer Regeln möglich. Selbst staatliche Aufgaben wie die Grundversorgung werden justiziabel – sofern sie mit den Binnenmarktvorgaben kollidieren. Die Schweiz wird so von einem souveränen Strommarktakteur zu einem funktionalen Bestandteil des EU-Systems – ohne mitbestimmen zu können.

Artikel 4 – Allgemeine Bestimmungen – Der Strommarkt wird vollständig geöffnet, auch in der Schweiz: Mit diesem Artikel beginnt der Kernteil des Abkommens: die Integration der Schweiz in den EU-Strombinnenmarkt. Die Marktöffnung ist für alle Verbraucher – auch Haushalte – verpflichtend. Die Schweiz darf keine Sonderregelungen für einzelne Stromkonsumenten vorsehen. Damit verliert die Schweiz die Möglichkeit, ihren Strommarkt eigenständig zu gestalten, etwa durch geschützte Tarife, Sonderkonditionen für energieintensive Betriebe oder kantonale Modelle.

Artikel 5 – Zugang Dritter – EU-Normen auch für schweizerische Stromnetze: Stromnetzbetreiber müssen allen Anbietern diskriminierungsfreien Zugang zum Netz gewähren – nach denselben Grundsätzen wie in der EU. Das bedeutet: Die Schweiz übernimmt den rechtlichen Zwang zu grenzüberschreitendem Wettbewerb im Stromtransport – mit möglichen Folgen für Netzstabilität, Preise und Versorgungssicherheit.

Artikel 6 – Entflechtung – Netzbetreiber müssen unabhängig werden: Stromnetze dürfen nicht mehr Teil integrierter Energieunternehmen sein, sondern müssen unabhängig geführt werden. Diese Regel kennt die Schweiz heute nur teilweise. Das Abkommen zwingt zur Entflechtung – und damit zu tiefgreifenden Umstrukturierungen in der Energiebranche. Kantonale und kommunale Versorger mit gemischten Geschäftsmodellen wären besonders betroffen.

Artikel 7 – Zertifizierung – Schweiz unter Aufsicht von ACER und Kommission: Die Unabhängigkeit der schweizerischen Netzbetreiber muss von der ElCom nach den Regeln der EU geprüft werden. Dabei erhält die EU-Agentur ACER Mitspracherecht, ebenso die Europäische Kommission. Schweizer Entscheide können aufgehoben oder blockiert werden. Damit unterliegt die Schweiz faktisch einer ausländischen Kontrollinstanz – mit kaum realer Einspruchsmöglichkeit.

Artikel 8 – Elektrizitätstarife – Kein Raum mehr für politische Tarifanpassungen: Strompreise müssen kostenbasiert, transparent und diskriminierungsfrei sein. Politische Eingriffe – etwa zur Entlastung von Haushalten oder zur Lenkung der Nachfrage – sind nur unter strengen Bedingungen zulässig. Auch Kantone und Gemeinden verlieren damit Handlungsspielräume.

Artikel 9 – Öffentlich-rechtliche Aufgaben – Eingeschränkte Ausnahmen, aber unter Vorbehalt: Zwar dürfen Mitgliedstaaten (also auch die Schweiz) öffentlich-rechtliche Verpflichtungen für die Stromversorgung vorschreiben. Diese müssen aber im Einklang mit dem Binnenmarkt stehen – also mit Wettbewerb, Kostentransparenz und EU-Interessen vereinbar sein. Damit werden selbst staatliche Aufgaben im Strombereich justiziabel und durchsetzbar.

Artikel 10 – Interne Marktregeln – Die Schweiz übernimmt zentrale EU-Verordnung: Dieser Artikel erklärt die gesamte Verordnung (EU) 2019/943 für anwendbar – das Herzstück des EU-Strommarktrechts. Sie regelt Markttransparenz, Gebotszonen, Redispatching, Reservekapazitäten, Preisbildung und mehr. Die Schweiz verpflichtet sich, diese komplexen Regeln nicht nur zu beachten, sondern auch im nationalen Recht wirksam zu machen. Damit wird ein grosser Teil der schweizerischen Strommarktregulierung direkt europäisch gesteuert.

Artikel 11 – Übertragungsnetzbetreiber – Die Schweiz wird Teil der europäischen Netzführung: Die schweizerischen Übertragungsnetzbetreiber (z. B. Swissgrid) unterliegen den gleichen Pflichten wie jene der EU: Sie müssen Engpässe transparent verwalten, Engpasserlöse zweckgebunden einsetzen und den EU-Vorgaben zur Netzbewirtschaftung folgen. Gleichzeitig nimmt Swissgrid an den Mechanismen der EU-Marktkopplung teil. Das bedeutet: Der Stromfluss durch die Schweiz kann künftig im EU-Interesse gesteuert werden – auch gegen nationale Präferenzen.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Teil III – Wettbewerbsregeln, staatliche Beihilfen, Entflechtung und Transparenz (Art. 12–19) – Die Schweiz übernimmt das gesamte EU-Regelwerk für Marktordnung und Beihilfen (COM(2025)309_6-2, Seite 16 bis 25) (Stichworte: Wettbewerbsregeln, Beihilfen, Entflechtung, Transparenz)

Mit diesem Teil verpflichtet sich die Schweiz zur Anwendung zentraler EU-Vorgaben zur Wettbewerbsaufsicht, Markttransparenz und staatlichen Eingriffen. Staatliche Beihilfen – etwa zur Förderung erneuerbarer Energien oder für Versorgungsaufgaben – unterliegen künftig der Beihilfekontrolle nach EU-Standards. Die Schweiz muss ein eigenes, gleichwertiges Überwachungssystem einrichten, das sich an der Praxis der EU-Kommission orientiert. Ausnahmen sind nur noch befristet zulässig. Zudem wird die Entflechtung von Netz und Produktion nach EU-Vorgaben durchgesetzt – mit massiven Folgen für bestehende Versorgungsstrukturen. Auch die Markttransparenz, insbesondere über Handelsdaten und Netzkapazitäten, wird nach EU-Recht organisiert. Die Schweiz übernimmt damit nicht nur Regeln, sondern auch die Systemlogik eines europäisch regulierten Marktes.

Artikel 12 – Wettbewerbsregeln – EU-Kompetenz bei Marktverzerrungen auch in der Schweiz: Dieser Artikel verpflichtet die Schweiz zur Einhaltung der Wettbewerbsregeln, wie sie im EU-Binnenmarkt gelten. Das umfasst insbesondere das Verbot von wettbewerbsverzerrenden Praktiken. Damit greift die EU-Kommission faktisch in den schweizerischen Elektrizitätsmarkt ein, sobald der Verdacht auf unzulässige Wettbewerbsverzerrung besteht – inklusive Befugnisse zur Kontrolle und Intervention.

Artikel 13 – Staatliche Beihilfen – EU-Regeln werden schweizerische Förderpolitik überlagern: Die Schweiz verpflichtet sich zur Anwendung der EU-Beihilfevorschriften, inklusive Definition, Kontrolle und Ausnahmen. Sie muss ein eigenes Überwachungssystem schaffen, das dem EU-System gleichwertig ist – inklusive Transparenzpflichten und Rückforderungsverfahren. Alle staatlichen Unterstützungsleistungen im Strombereich unterliegen künftig diesen Vorgaben, was Fördermodelle wie Subventionen, Einspeisevergütungen oder differenzierte Netztarife fundamental einschränken kann.

Artikel 14 – Durchsetzung der Beihilfevorschriften – EU-Massstab für Kontrolle und Rückforderung: Die Durchsetzung der Beihilfevorschriften durch die Schweiz erfolgt gemäss den Standards der EU. Die Schweiz muss sicherstellen, dass unrechtmässige Beihilfen zurückgefordert werden können. Das bedeutet eine Verpflichtung zur Angleichung der nationalen Rechtsinstrumente – bis hin zu gerichtlichen Verfahren auf nationaler Ebene gegen Beihilfeempfänger.

Artikel 15 – Zusammenarbeit bei staatlichen Beihilfen – EU-Praxis wird Referenzrahmen: Dieser Artikel schreibt eine institutionalisierte Zusammenarbeit der Schweizer Beihilfeaufsicht mit der EU-Kommission vor. Dazu gehören regelmäßiger Austausch, Orientierung an den Beihilfeleitlinien der EU und Überprüfung bestehender Massnahmen. Die Kommission behält über den Gemischten Ausschuss erheblichen Einfluss auf die Interpretation und Anwendung dieser Regeln.

Artikel 16 – Verbot bestimmter staatlicher Beihilfen – Kein Raum für gezielte Industriepolitik: Beihilfen, die bestimmten Unternehmen oder Erzeugungstechnologien einen strukturellen Vorteil verschaffen (z. B. Kohlesubventionen oder Vergünstigungen für Grossverbraucher), sind grundsätzlich verboten. Die Schweiz darf solche Massnahmen nicht mehr einführen oder weiterführen – selbst wenn sie energie-, versorgungs- oder industriepolitisch begründbar wären.

Artikel 17 – Transparenz bei Beihilfen – Offenlegungspflichten nach EU-Vorgaben: Dieser Artikel verpflichtet die Schweiz zur öffentlichen Erfassung und Bekanntmachung sämtlicher gewährter Beihilfen. Die Angaben müssen in einem Transparenzregister der EU oder einem gleichwertigen System veröffentlicht werden. Dies erhöht den rechtlichen und politischen Druck auf nationale Förderpolitiken.

Artikel 18 – Entflechtung – Netzbetreiber müssen unabhängig sein: Die Schweiz muss sicherstellen, dass Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber rechtlich und organisatorisch von der Stromerzeugung und dem Vertrieb getrennt sind – nach Massgabe der EU-Regelung (Unbundling). Das betrifft direkt die heutigen Strukturen vieler kantonaler und regionaler Versorger und kann deren Geschäftsmodelle infrage stellen.

Artikel 19 – Transparenz – Offener Zugang zu Handels- und Netzdaten: Die Schweiz verpflichtet sich, zentrale Markt- und Netzinformationen offen zugänglich zu machen. Dazu zählen Kapazitäten, Netzengpässe, Marktpreise und geplante Investitionen. Die Transparenzvorgaben folgen den EU-Vorgaben und stärken den einheitlichen europäischen Strommarkt – zulasten nationaler Handlungsspielräume.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Teil IV – Bereiche im Zusammenhang mit dem Strommarkt (Art. 20–22) – Grüne Vorgaben, Netzausbau, Infrastruktursteuerung – wie Umwelt- und Energiepolitik zur Marktfunktion wird (COM(2025)309_6-2 Seite 25 bis 27) (Stichworte: Umwelt, Krisenmanagement, Netzausbau, Infrastruktursteuerung)

Dieser Teil des Abkommens verschränkt Umwelt- und Energiepolitik systematisch mit dem Marktzugang und der Netzinfrastruktur. Die Schweiz verpflichtet sich zu einem "hohen Umweltschutzniveau" nach EU-Massstab, zur Förderung der erneuerbaren Energien mit verbindlichem Richtwert und zu beschleunigten Bewilligungsverfahren. Infrastrukturprojekte müssen künftig auf Konvergenz mit der EU-Politik ausgerichtet werden, um als „Vorhaben von gegenseitigem Interesse“ anerkannt zu werden. Damit erhält die EU direkten Einfluss auf Ausbauprioritäten und Genehmigungspraxis in der Schweiz. Die energiepolitische Steuerungskompetenz verlagert sich – teils formal, teils faktisch – auf den gemeinsamen Ordnungsrahmen. Politisch brisant ist insbesondere, dass Netzinvestitionen und Umweltregeln künftig nicht mehr allein innenpolitisch bestimmt werden können, sondern dem europäischen Steuerungsziel "Marktfunktion" untergeordnet sind.

Artikel 20 – Umwelt – EU-Standards als verbindlicher Massstab für die Schweiz: Dieser Artikel verpflichtet die Schweiz zur Einhaltung eines „hohen Umweltschutzniveaus“ im Sinne der EU. Die EU-Umweltnormen, insbesondere im Bereich Stromproduktion, Netzinfrastruktur und Elektrizitätsbinnenmarkt, werden integraler Bestandteil des Abkommens (vgl. Anhang V). Damit erhält die EU über den Umweg des Umweltschutzes eine rechtsverbindliche Mitwirkung in der schweizerischen Energie- und Infrastrukturpolitik. Die Spielräume für nationale Abweichungen oder eigenständige Gewichtungen werden faktisch stark eingeschränkt. (Stichworte: Umweltrecht, UVP, Natura 2000, Habitat)

Artikel 21 – Erneuerbare Energie – Richtwert, aber mit starker Lenkungswirkung: Die Schweiz verpflichtet sich zu einem Richtwert von 48,4 % erneuerbarem Anteil am Bruttoendenergieverbrauch bis 2030. Der Gemischte Ausschuss kann diesen Wert nachträglich anpassen – auf Basis der EU-Zielsetzung. Zwar bleibt der Richtwert formal freiwillig, doch die Pflicht zur Berichterstattung und zur Umsetzung zentraler Artikel der EU-Erneuerbaren-Richtlinie (Anhang VI) erzeugt faktisch starken politischen und regulatorischen Druck. Die Schweizer Energiepolitik gerät damit strukturell in ein europäisches Zielsystem – mit allen damit verbundenen Spannungen und Zielkonflikten. (Stichworte: Erneuerbare Energien, Zielbindung, Berichtspflichten)

Artikel 22 – Vorhaben von gegenseitigem Interesse – EU-Kriterien entscheiden über Priorisierung: Strominfrastrukturprojekte der Schweiz können nur dann den Status eines „Vorhabens von gegenseitigem Interesse“ erhalten – mit entsprechendem Zugang zu Koordination, Förderung oder regulatorischer Unterstützung –, wenn sie mit der EU-Politik konvergieren. Der Status wird nicht einseitig vergeben, sondern muss beidseitig vereinbart werden. Für die Schweiz bedeutet das: Ausbauprojekte im Übertragungsnetz oder bei Speicherinfrastruktur können künftig nicht mehr nach rein nationalen Kriterien priorisiert oder bewilligt werden. Die strategische Steuerung des Netzausbaus verlagert sich in den EU-Rahmen.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Teil V – Institutionelle Bestimmungen, Kapitel 1 – Allgemeine Bestimmungen (Art. 23–25) – Wie das Stromabkommen künftig verwaltet, überwacht und weiterentwickelt wird (COM(2025)309_6-2, Seite 27 bis 30) (Stichworte: Gemischter Ausschuss, Rechtsübernahme, EuGH, ACER, Vetorecht, Ausgleichsmassnahmen)

Dieser Abschnitt legt die Grundlagen für die institutionelle Umsetzung und Weiterentwicklung des Abkommens. Entscheidend ist, dass die EU nicht nur als Partner, sondern als regulative Instanz auftritt. Der Gemischte Ausschuss wird zur Schaltzentrale, um das Abkommen dynamisch fortzuentwickeln und über Streitfragen zu befinden. Die Schweiz anerkennt die Grundprinzipien des EU-Strombinnenmarkts, verpflichtet sich zur institutionellen Kooperation und übernimmt zentrale Elemente des EU-Rechtsrahmens. Damit erfolgt ein Funktionswandel: Die institutionellen Bestimmungen sichern nicht einfach die bilaterale Zusammenarbeit ab, sondern verankern strukturell die Einbindung der Schweiz in die Governance des europäischen Strommarkts – mit erheblichen Folgen für Souveränität und Rechtsentwicklungsspielräume.

Artikel 23 – Grundsatz der Einhaltung gemeinsamer Regeln – Die Schweiz verpflichtet sich zum Gleichklang mit der EU: Dieser Artikel legt den Grundstein für die vollständige Mitwirkung der Schweiz am EU-Strombinnenmarkt. Er verpflichtet die Schweiz, die Vorschriften der EU, wie sie im Abkommen und seinen Anhängen festgehalten sind, wirksam umzusetzen – und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der konkreten Praxis. Damit übernimmt die Schweiz eine dauerhafte Gewährleistungspflicht für den Vollzug von EU-Recht im Inland, selbst gegenüber Dritten.

Artikel 24 – Teilnahme an Agenturen, Systemen und Tätigkeiten – Schweiz zahlt mit, wirkt begrenzt mit: Die Schweiz wird an bestimmten EU-Institutionen wie ACER und ENTSO-E beteiligt, allerdings mit eingeschränkten Mitspracherechten. Sie leistet finanzielle Beiträge und nimmt an Informationssystemen teil, ohne über ein gleichwertiges Stimmrecht zu verfügen. Für die operative Zusammenarbeit ist das wichtig, für die politische Selbstbestimmung jedoch problematisch, da Mitfinanzierung nicht automatisch Mitsprache bedeutet.

Artikel 25 – Weiterentwicklung des Abkommens – Dynamische Rechtsübernahme mit Steuerung durch die EU: Die Schweiz verpflichtet sich zur fortlaufenden Übernahme neuer oder geänderter EU-Rechtsakte, sofern sie im Gemischten Ausschuss gemeinsam beschlossen werden. Wird keine Einigung erzielt, kann die EU die Anwendung des Abkommens suspendieren. Damit wird der Gemischte Ausschuss zum politischen Hebel der EU: Die Schweiz kann faktisch nicht dauerhaft Nein sagen, ohne Sanktionen zu riskieren. Die Steuerung des Rechtsrahmens liegt langfristig bei der EU.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Teil V – Institutionelle Bestimmungen, Kapitel 2 – Angleichung an das Unionsrecht (Art. 26–28) – Wie die Schweiz künftiges EU-Recht übernehmen muss – mitreden darf sie, entscheiden nicht (COM(2025)309_6-2 Seite 31 bis 35) (Stichworte: Gemischter Ausschuss, Rechtsübernahme, EuGH, ACER, Vetorecht, Ausgleichsmassnahmen)

Die Schweiz wird durch diesen Teil institutionell eng in die Funktionsweise des europäischen Strommarkts eingebunden – jedoch nicht als gleichberechtigter Partner. Die zentralen Elemente: dynamische Rechtsübernahme, Teilnahme ohne Stimmrecht, ein Gemischter Ausschuss mit richtungsweisender Rolle, systematischer Informationsaustausch und die Überwachung durch eine schweizerische Behörde nach EU-Muster. Zwar erhält die Schweiz Zugang zu Entscheidungsprozessen, kann diese aber nicht mitbestimmen. Ihre Beteiligung ist konsolidiert, aber asymmetrisch – sie darf mitreden, aber nicht mitentscheiden. Besonders kritisch: Lehnt die Schweiz neue Rechtsakte ab, kann die EU das Abkommen einseitig aussetzen. Damit ist die Souveränität im Stromsektor faktisch eingeschränkt. Dieser Teil ist das institutionelle Rückgrat des Abkommens – er regelt, wie die Schweiz künftig an der EU-Stromordnung teilnimmt: kooperativ, aber nicht autonom.

Artikel 26 – Verfahren zur Änderung von Anhang I – EU-Rechtsübernahme im Paketformat: Wenn die EU neue oder geänderte Rechtsakte erlässt, prüft der Gemischte Ausschuss deren Übernahme durch die Schweiz. Entscheidet sich die Schweiz gegen eine Übernahme, kann die EU das Abkommen ganz oder teilweise aussetzen. Die Schweiz hat kein Vetorecht – sie kann nur zustimmen oder die Konsequenzen tragen. Damit wird dynamische Rechtsübernahme zur Dauereinrichtung.

Artikel 27 – Beteiligung an der Vorbereitung neuer Rechtsakte – Früh informiert, aber ohne Einfluss: Die Schweiz darf bei der Erarbeitung neuer EU-Rechtsakte in bestimmten Gremien mitwirken, jedoch nur beratend und ohne Stimmrecht. Sie kann Stellung nehmen, aber nicht entscheiden. Der informelle Zugang zu EU-Prozessen ist begrenzt und selektiv. Ihre Position hat keinen verbindlichen Einfluss auf das Ergebnis.

Artikel 28 – Interne Koordination und Transparenz – Informationspflichten, aber keine Mitsprachepflichten: Die Schweiz verpflichtet sich zur innerstaatlichen Koordination der EU-Rechtsübernahme und muss ihre Haltung rechtzeitig darlegen. Das bedeutet: Sie organisiert sich für die dynamische Rechtsübernahme, auch wenn sie keine formelle Gestaltungsmacht besitzt. Das Abkommen verankert Pflichten ohne verbriefte Rechte.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Teil V – Institutionelle Bestimmungen, Kapitel 3 – Auslegung und Anwendung des Abkommens (Art. 29–38) – Wie das Abkommen gelesen, durchgesetzt und bei Streitfällen behandelt wird – mit letzter Instanz in Brüssel (COM(2025)309_6-2, Seite 36 bis 42) (Stichworte: Gemischter Ausschuss, Rechtsübernahme, EuGH, ACER, Vetorecht, Ausgleichsmassnahmen)

Dieser Abschnitt regelt, wie das Stromabkommen juristisch angewendet, ausgelegt und bei Konflikten durchgesetzt wird – mit weitreichenden Konsequenzen für die Schweizer Rechtsordnung. Zentrale Bestimmung ist Artikel 29: Er verpflichtet die Schweiz zur „einheitlichen Auslegung“ der integrierten EU-Rechtsakte im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH). Damit anerkennt die Schweiz den EuGH als faktische Letztinstanz in Auslegungsfragen – ein klarer Souveränitätsverzicht in juristischen Streitpunkten. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen der Schweiz und der EU kommt ein Schiedsgericht zum Einsatz, das jedoch den EuGH verbindlich anrufen muss, sobald es um EU-Recht geht. Die Auslegung erfolgt also letztlich unter EU-Aufsicht. Auch das Verfahren bei Vertragsverletzungen ist geregelt: Die Schweiz kann verwarnt und sanktioniert werden – mit Ausgleichsmassnahmen, die in der Praxis einseitig von der EU verhängt werden könnten. Der Schweizer Handlungsspielraum im Konfliktfall ist damit stark eingeschränkt, die Durchsetzungsmacht liegt faktisch auf Seiten der EU. Dieser Abschnitt institutionalisiert eine Form kontrollierter Integration – mit klarer Rollenverteilung: Die Schweiz führt aus, was in Brüssel interpretiert wird.

Artikel 29 – Auslegung – Die Schweiz verpflichtet sich zur EU-konformen Lesart: Die Schweiz muss alle im Abkommen integrierten EU-Rechtsakte einheitlich auslegen, im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des EuGH – und dies sowohl für bestehendes wie künftiges Recht. Das bedeutet eine verpflichtende Bindung an die Rechtsprechung des EuGH, auch ohne formelle Mitwirkung oder Mitentscheidung. Das Bundesgericht muss diese Praxis übernehmen – ein tiefgreifender Eingriff in die schweizerische Rechtssouveränität.

Artikel 30 – Beilegung von Streitigkeiten – Der bilaterale Weg vor dem Gang nach Den Haag: Bevor ein Streitfall vor ein Schiedsgericht gebracht wird, müssen die Parteien mindestens 30 Tage lang im Gemischten Ausschuss versuchen, eine Einigung zu erzielen. Damit wird ein Mechanismus zur Vermeidung gerichtlicher Auseinandersetzungen etabliert, allerdings unter dominanter Beteiligung der Kommission im Ausschuss.

Artikel 31 – Einvernehmliche Lösung – Besser keine Klage: Die Vertragsparteien können jederzeit eine Streitigkeit einvernehmlich beilegen. Dabei sind interne Verfahren (z. B. Genehmigungen in der Schweiz) zu respektieren. Dies lässt Raum für politische Kompromisse, aber auch für Druck auf die Schweiz im Vorfeld formeller Verfahren.

Artikel 32 – Streitbeilegung durch ein Schiedsgericht – Aber mit Rückbindung an Brüssel: Kommt es zu keiner Einigung im Ausschuss, kann jede Partei ein ständiges Schiedsgericht anrufen. Dieses kann formell unabhängig urteilen – muss aber den EuGH anrufen, wenn es um die Auslegung von EU-Recht geht. Damit ist klar: Über das letzte Wort in solchen Fällen entscheidet nicht das Schiedsgericht, sondern der EuGH.

Artikel 33 – Vertragsverletzung und Ausgleichsmassnahmen – Sanktionsmechanismus auf EU-Seite: Wenn die Schweiz das Abkommen verletzt, kann die EU nach Konsultation im Ausschuss einseitig Ausgleichsmassnahmen verhängen – auch sektorübergreifend, z. B. im Luftverkehr. Die Schweiz kann ein Schiedsgericht anrufen, das die Verhältnismässigkeit der Massnahmen prüft – nicht aber deren politische Zulässigkeit.

Artikel 34 – Verhältnismässigkeit – Prüfung durch das Schiedsgericht, aber nur eingeschränkt: Das Schiedsgericht prüft, ob Ausgleichsmassnahmen verhältnismässig sind – nicht jedoch, ob sie berechtigt oder sinnvoll sind. Damit bleibt die Prüfung rein technisch, nicht politisch.

Artikel 35 – Vorläufige Massnahmen – EU-Sanktionen können gestoppt werden, aber nur unter hohen Hürden: Auf Antrag kann das Schiedsgericht die Anwendung von Ausgleichsmassnahmen vorübergehend aussetzen – allerdings nur, wenn der Schweiz irreparabler Schaden droht und die Begründung „prima facie“ überzeugend ist.

Artikel 36 – Dringlichkeitsverfahren – Wenn’s pressiert, geht’s schnell: In eiligen Fällen gelten verkürzte Fristen im Streitverfahren. Damit ist ein Instrument zur schnellen Eskalation vorgesehen – was insbesondere von der EU genutzt werden könnte, um rasch Sanktionen zu rechtfertigen.

Artikel 37 – Rücknahme von Massnahmen – Wenn sich die Schweiz wieder fügt: Stellt das Schiedsgericht fest, dass eine Vertragsverletzung behoben wurde, müssen verhängte Ausgleichsmassnahmen unverzüglich aufgehoben werden.

Artikel 38 – Verhältnis zu anderen Abkommen – Kumulativer Zugriff möglich:
Die EU darf Ausgleichsmassnahmen nicht gleichzeitig aus mehreren Abkommen gegen die Schweiz geltend machen – es sei denn, es betrifft unterschiedliche Sektoren. Das öffnet die Tür zu koordinierter Druckausübung in verschiedenen Politikbereichen.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Teil VI – Sonstige Bestimmungen (Art. 39–42) Was die Schweiz wissen, austauschen und veröffentlichen muss – auch ohne volle Mitgliedschaft (COM(2025)309_6-2, Seite 43 bis 45) (Stichworte: Informationspflicht, Veröffentlichung, Soft Law, Marktdaten)

Dieser Abschnitt verpflichtet die Schweiz, umfangreiche Melde-, Transparenz- und Koordinationspflichtenzu übernehmen, die sonst nur für EU-Mitgliedstaaten gelten. Obwohl die Schweiz nicht Teil der Union ist, muss sie in Echtzeit Marktdaten liefern, staatliche Beihilfen offenlegen und alle Informationspflichten nach EU-Standard erfüllen. Damit wird sie zur Datenlieferantin und Vollzugsstelle im europäischen Strommarkt – ohne gleichberechtigte Mitsprache. Besonders relevant: Die Schweiz muss auch alle relevanten Umweltdaten liefern und rechtlich nachvollziehbare Entscheidungen dokumentieren – was einem hohen Verwaltungsaufwand und faktischer Einbindung in die europäische Regulierungsstruktur gleichkommt. Die Informationspflicht gilt auch gegenüber der EU-Kommission und gegenüber Agenturen wie ACER. Damit entsteht eine Transparenzpflicht nach innen und aussen, die de facto die Kontrollfunktion der EU gegenüber der Schweiz absichert.

Artikel 39 – Allgemeine Anpassungen – Die EU-Rechtsakte gelten für die Schweiz wie für Mitgliedstaaten: Dieser Artikel stellt klar, dass die in den Anhängen I und VI genannten Rechtsakte der Union in der Schweiz identisch gelten wie in EU-Staaten, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes geregelt ist. Damit wird jede technische oder inhaltliche Abweichung zur Ausnahme, nicht zur Regel. Die Schweiz verpflichtet sich faktisch zur 1:1-Übernahme dieser zentralen Teile des EU-Stromrechts – mit nur marginalem Spielraum für eigenständige Umsetzung.

Artikel 40 – Informationsaustausch – Schweiz als Datenlieferantin in Echtzeit: Die Schweiz muss auf verschiedenen Wegen Informationen übermitteln – an die Kommission, an einzelne EU-Mitgliedstaaten, an ACER oder andere Unionsorgane. Dieser Austausch erfolgt direkt oder über den Gemischten Ausschuss. Besonders bemerkenswert:

  • ACER und EU-Kommission dürfen direkt mit Schweizer Unternehmen kommunizieren.

  • Die Schweiz muss bei Konsultationen von Unternehmen in der EU in gleicher Weise einbezogen werden – allerdings nur informell, nicht entscheidend.

  • Die Datenpflicht betrifft auch sensible Informationen, z. B. zu Marktverhalten, Infrastrukturdaten, geplanten Projekten oder Preisen.

Das macht die Schweiz zu einem transparenzpflichtigen Akteur, ohne dass sie die Regeln selbst setzt.

Artikel 41 – Nicht bindende Dokumente – EU-Leitlinien gelten auch für die Schweiz: Obwohl es sich um „nicht bindende“ Empfehlungen, Erklärungen oder Stellungnahmen handelt, wird ihre Übermittlung an die Schweiz ausdrücklich geregelt. Das zielt auf sogenannte Soft Law-Instrumente wie ACER-Leitlinien, die in der EU faktisch große Wirkung entfalten. Auch die Schweiz wird so faktisch zur Anwendung gedrängt – ohne offizielle Gesetzesbindung, aber mit politischem Druck.

Artikel 42 – Veröffentlichung von Informationen – Schweiz muss publizieren wie ein EU-Staat: Die Schweiz muss sämtliche Informationen öffentlich machen, so wie es ein EU-Mitglied müsste – sei es über nationale Stellen oder durch Veröffentlichung im Amtsblatt der EU. Das betrifft etwa Ausschreibungen, Marktentscheidungen, Beihilfen oder Netzregelungen. Damit wird die Schweiz zur öffentlich kontrollierbaren Vollzugsstelle für das europäische Energierecht – sichtbar für Märkte, Unternehmen und Behörden gleichermaßen.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Teil VII – Schlussbestimmungen (Art. 43–51) – Was das Abkommen für Geltung, Geld, Geheimhaltung, Gültigkeit und Geografie festlegt (COM(2025)309_6-2 Seite 46 bis 54) (Stichworte: Kündigung, Geltung, Geografie, Finanzierung)

Diese Schlussbestimmungen legen den rechtlichen Rahmen für Geltungsbereich, Umsetzung, Finanzierung, Kündigung und territoriale Reichweite des Abkommens fest. Die Bestimmungen sind keine technische Nebensache – sie zementieren vielmehr zentrale Weichenstellungen: Wer zahlt, wer mitredet, wer rauskommt, wer zuständig ist.

Die Schweiz verpflichtet sich zu einem fixen Finanzbeitrag an EU-Agenturen, muss EU-Standards zur Vertraulichkeit einhalten, akzeptiert geografisch die Interpretation der EU und erhält keine ausdrückliche nationale Rücktrittsklausel. Besonders folgenreich ist Artikel 47: Das Abkommen gilt als „untrennbare Einheit“ mit einer rechtlich bindenden Verknüpfung mit anderen Marktzugangsabkommen. Die Schweiz kann also nicht selektiv kündigen oder nachverhandeln – ein Rückbau ist nicht vorgesehen. Entscheidungen des Gemischten Ausschusses zu Änderungen oder Erweiterungen werden für die Schweiz mitverbindlich – oft ohne nationale Zustimmungspflicht.

Artikel 43 – Inkrafttreten und Geltungsdauer – Das Abkommen gilt unbefristet: Das Stromabkommen tritt nach den üblichen Ratifikationsverfahren in Kraft und gilt unbefristet. Eine Kündigungsklausel fehlt ausdrücklich – ein bewusster Entscheid. Damit ist das Abkommen rechtlich auf Dauer angelegt. Selbst ein politischer Kurswechsel in der Schweiz könnte es nicht ohne Weiteres rückgängig machen.

Artikel 44 – Änderungsverfahren – Nachbesserungen nur gemeinsam möglich: Änderungen sind nur durch gemeinsamen Beschluss im Gemischten Ausschuss möglich. Die Schweiz kann keine einseitigen Anpassungen vornehmen. Das Abkommen ist damit statisch, solange keine Einigung mit der EU zustande kommt – auch wenn sich Rahmenbedingungen drastisch ändern sollten.

Artikel 45 – Anhänge und Anlagen – Vollwertiger Bestandteil mit automatischer Bindung: Alle Anhänge und Anlagen sind integraler Vertragsbestandteil. Damit gelten sämtliche EU-Rechtsübernahmen, institutionellen Verfahren und Konkretisierungen rechtlich verbindlich. Eine politische oder nationale Differenzierung zwischen „Kerntext“ und „Anhang“ ist ausgeschlossen.

Artikel 46 – Territoriale Anwendung – EU-Rechtsauslegung für Drittgebiete verbindlich: Das Abkommen gilt auch in überseeischen Gebieten der EU, soweit dort der EU-Strombinnenmarkt Anwendung findet. Umgekehrt gilt: Die Schweiz kann keine differenzierte Anwendung in ihren Regionen oder Sonderzonen vornehmen.

Artikel 47 – Beziehung zu anderen Abkommen – Untrennbare Einheit mit Marktzugangsabkommen: Das Stromabkommen ist rechtlich und politisch mit den anderen Marktzugangsabkommen des Pakets verknüpft. Die Schweiz akzeptiert, dass diese als „einheitliches Paket“ behandelt werden. Eine selektive Anwendung oder Kündigung einzelner Abkommen ist damit ausgeschlossen – ein Bruch eines Teils gilt als Bruch des Ganzen.

Artikel 48 – Geheimhaltung – Schweiz muss EU-Geheimhaltungsniveau übernehmen: Die Schweiz verpflichtet sich, sämtliche Informationen im Rahmen des Abkommens gemäß dem EU-Standard zu behandeln. Dies betrifft besonders Verfahren im Gemischten Ausschuss und bei Streitbeilegung. Die Informationspolitik der Schweiz wird dadurch europarechtlich eingehegt.

Artikel 49 – Finanzierung – Die Schweiz zahlt verbindlich mit: Die Schweiz übernimmt Beiträge zu EU-Agenturen (insbesondere ACER) und Systemen (z. B. Unionsdatenbank) auf vertraglich festgelegter Basis. Der Beitrag wird jährlich angepasst, die Berechnung erfolgt nach EU-internen Kriterien. Die Schweiz zahlt, hat aber kein gleichwertiges Stimmrecht in der Mittelverwendung.

Artikel 50 – Überprüfung – Das Abkommen kennt keine Revisionspflicht: Eine automatische Überprüfung oder Erneuerung des Vertrags ist nicht vorgesehen. Das Abkommen bleibt unverändert in Kraft, solange es nicht gemeinsam geändert wird – mit allen daraus resultierenden Pfadabhängigkeiten.

Artikel 51 – Urschrift und Sprachen – Gleichwertigkeit, aber Auslegungshoheit bleibt unklar: Das Abkommen wird in sämtlichen EU-Sprachen sowie auf Deutsch, Französisch und Italienisch für die Schweiz verbindlich verfasst. Obwohl alle Sprachfassungen gleichwertig sein sollen, ist nicht geregelt, wer bei Streit über die Auslegung das letzte Wort hat – faktisch dürfte der EuGH entscheidend sein.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Anhang I – Relevante Rechtsakte – Der Kern der rechtlichen Anbindung: EU-Stromrecht wird schweizerisches Recht (COM(2025)309_6-2, Seite 55 bis 84) (Stichworte: EU-Rechtsakte, Strommarktverordnung, ACER, Cybersicherheit)

Dieser Anhang ist das juristische Herzstück des Stromabkommens. Er listet all jene EU-Rechtsakte auf, die die Schweiz mit dem Abkommen übernimmt. Es handelt sich um zentrale Verordnungen und Richtlinien zum Strombinnenmarkt – insbesondere zur Netzregulierung, Marktintegration, Versorgungssicherheit, Systemführung, Netzplanung, Kapazitätsmechanismen, Stromkennzeichnung, Nachhaltigkeit sowie institutionellen Zuständigkeiten (ACER, ENTSO-E, NRAs).

Die in Anhang I aufgeführten Bestimmungen werden durch das Stromabkommen rechtsverbindlich und dynamisch übernehmbar. Das bedeutet: Auch künftige Änderungen dieser EU-Rechtsakte gelten für die Schweiz – entweder automatisch oder nach Anpassung durch den Gemischten Ausschuss, wobei ein faktischer Umsetzungsdruck besteht. Damit wird EU-Stromrecht integraler Bestandteil des schweizerischen Rechtsrahmens.

Besonders brisant ist: Viele dieser Rechtsakte sehen weitgehende Eingriffsrechte durch ACER, ENTSO-E und die Kommission vor. Diese werden durch das Abkommen auch für die Schweiz gültig. Gleichzeitig erhält die Schweiz nur eine beratende Rolle, ohne echtes Mitentscheidungsrecht. Die Beteiligung erfolgt „ohne Stimmrecht“, der Handlungsspielraum ist eng.

Anhang I ist damit kein Anhang im klassischen Sinn, sondern ein vollständiger Rechtsübernahmekatalog. Seine Tragweite betrifft zentrale Fragen wie Netzsteuerung, Versorgungssicherheit, Preisgestaltung und Investitionen – also die fundamentalen Bausteine einer eigenständigen Energiepolitik. Die 19 wichtigsten Rechtsakte greifen tief in Marktregeln, Netztechnik, Sicherheitsstandards und institutionelle Abläufe ein. Nachfolgend eine Übersicht, was das konkret für die Schweiz bedeutet – in Form von faktischer Anbindung, rechtlicher Unterstellung oder politischem Souveränitätsverlust.

  1. Strombinnenmarktverordnung (2019/943): Regelt zentrale Marktprinzipien wie Preisbildung, Kapazitätsmechanismen und Gebotszonen. Die Schweiz öffnet ihren Strommarkt vollständig, ist eingebunden in europäische Entscheide – aber ohne Vetorecht. Eingriffe in nationale Tarifsysteme oder Marktregulierung bleiben möglich.

  2. Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (2019/944): Erzwingt weitere Marktöffnung, Entflechtung von Netz und Produktion, neuen Verbraucherschutz, Informationspflichten, Smart-Meter-Infrastruktur und Prosumer-Regeln. Kantonale Versorgungsmodelle kommen unter Druck.

  3. REMIT-Verordnung (1227/2011) und REMIT-Datenverordnung (1348/2014): Bekämpft Marktmissbrauch. Die Schweiz unterstellt ihre Unternehmen der Überwachung durch ACER. Handelsdaten werden über EU-Meldesysteme eingespeist – ohne Mitbestimmung über Meldepflichten oder Datennutzung.

  4. Verordnung über Systemausgleich (2017/2195): Die Schweiz nimmt am EU-weiten Bilanzausgleich teil – samt Plattformen und Ausschreibungen. Frequenz- und Engpassmanagement erfolgen künftig zentral, nach EU-Takt. Nationale Sonderregelungen sind kaum mehr möglich.

  5. Risikovorsorgeverordnung (2019/941): Stellt Krisenmanagement unter gemeinsame Kontrolle. Die Schweiz muss Risiken grenzüberschreitend analysieren und EU-kompatible Notfallpläne erstellen. Der Stromexport darf im Krisenfall nicht einfach gestoppt werden – auch wenn die Schweiz selbst betroffen ist.

  6. Notfall- und Wiederaufbaukodex (2017/2196): Definiert Prozesse für Blackout-Situationen. Die Schweiz übernimmt europaweit koordinierte Abläufe – auch für den Wiederaufbau. Eigene Strategien sind nur noch bedingt zulässig.

  7. Netzkodizes für Erzeuger, Lasten und HGÜ-Systeme (2016–2017): Schweizer Anlagen, Verbraucher und Netzkomponenten müssen EU-Anschlussnormen erfüllen. Das betrifft PV-Anlagen, Industrie, HGÜ-Technik – bis hin zur Spannungshaltung. Technische Eigenheiten entfallen.

  8. Netzkodex für Übertragungsnetzbetrieb (2017/1485, SOGL): Swissgrid muss Betrieb, Kommunikation und Eingriffspläne vollständig an EU-Regeln anpassen. Die Hoheit über das Netzmanagement wird geteilt.

  9. Kapazitätsvergabe & Engpassmanagement (2015/1222, CACM): Die Schweiz wird Teil der Marktkopplung – inklusive gemeinsamer Preiszonenlogik, Allokation und Plattformnutzung. Ein Rückzug ist ausgeschlossen.

  10. Vergabe langfristiger Kapazitäten (2016/1719): Zwingt zur Teilnahme an zentraler Plattform für Langfristprodukte. Auch bestehende Sonderverträge müssen angepasst werden.

  11. Markttransparenzverordnung (543/2013): Erzwingt Veröffentlichung von Strommarktdaten nach EU-Format. Meldepflichten, Datenstandards und Plattformen werden zentral definiert.

  12. Übertragungsentgelte-Verordnung (838/2010): Regelt, wie Netzbetreiber grenzüberschreitend Kosten verrechnen. Entscheide über Ausgleichsmechanismen liegen bei der EU – auch wenn nur die Schweiz betroffen ist.

  13. Cybersicherheits-Netzkodex (2024/1366): Die Schweiz muss ein nationales Strom-Cybersicherheitsdispositiv schaffen. Mit Meldepflichten, Krisenteams, Standardisierung. Hoher Aufwand, wenig Gestaltungsspielraum.

  14. Zugang zu Verbrauchsdaten (2023/1162): Regelt Zugriff auf Smart-Meter-Daten. Drittanbieter erhalten standardisierten Zugang, nationale Datenschutzvorgaben treten zurück.

  15. REMIT-Gebührenverordnung (2020/2152): Schweizer Firmen zahlen für ACER-Datenverarbeitung. Die EU erhebt somit indirekt Gebühren – ohne demokratische Mitwirkung.

  16. ACER-Verordnung (2019/942): Macht ACER zur zentralen Entscheidinstanz bei grenzüberschreitenden Stromfragen. Die Schweiz ist dabei – ohne Stimmrecht. ACER kann verbindlich in die schweizerische Netzregulierung eingreifen.

  17. Verbraucherschutz & Lieferantenregeln (2019/944): Neue Rechte für Endkunden, Verpflichtungen für Anbieter, Entflechtungsvorgaben für Stadtwerke. Die Schweiz übernimmt zentrale Binnenmarktstandards.

  18. Koordinierungsgruppe Strom (2012/C 353/02): Strategisches EU-Gremium zur Versorgungssicherheit. Die Schweiz ist vertreten – aber ohne Entscheidungsbefugnis, auch im Krisenfall.

  19. Langfristige Integration: Alle diese Rechtsakte unterliegen dynamischer Fortentwicklung. Die Schweiz verpflichtet sich zur Übernahme künftiger Änderungen – mit Einsitz im Gemischten Ausschuss, aber ohne Vetorecht.

Fazit: Die Schweiz übernimmt mit diesen 19 Rechtsakten nicht nur europäische Strommarktregeln, sondern auch deren institutionelle, technische und politische Architektur. Die eigene Steuerungskompetenz wird schrittweise in EU-Strukturen überführt. Zwar gibt es Einsitz, aber kein Entscheidungsrecht – selbst bei fundamentalen Fragen wie Versorgungssicherheit, Marktaufsicht, Netzinvestitionen oder Cybersicherheit. Wer diese Rechtsakte akzeptiert, akzeptiert langfristig auch die politische Integration in eine europäische Stromordnung – mit allen Konsequenzen.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Anlage zu Anhang I – Vorrechte und Befreiungen der EU-Agentur ACER in der Schweiz – Ausländische Behörde mit Sonderstatus im Inland (COM(2025)309_6-2 Seite 85 bis 92) (Stichworte: ACER, Vorrechte, Immunität)

Die Schweiz gewährt der EU-Agentur ACER mit dieser Anlage einen Status, der typischerweise nur diplomatischen Missionen vorbehalten ist – und das ohne Gegenseitigkeit.

Konkret erhält ACER umfassende Vorrechte, Immunitäten und steuerliche Erleichterungen. Ihre Bediensteten (inklusive entsandte Experten und „Sonstige“) geniessen persönliche Immunität, auch nach Beendigung ihres Dienstverhältnisses, sofern sie im Zusammenhang mit amtlichen Handlungen steht. ACER kann eigene Dienstwohnungen betreiben, Dokumente und Kommunikation sind unverletzlich, ihre Einkäufe unterliegen weder Mehrwertsteuer noch Zöllen. Auch bei Gerichtsvollstreckung, Polizeiaktionen oder administrativen Verfahren gilt ein besonders weiter Schutz.

Bemerkenswert: Diese Sonderregelung gilt nicht nur für die Organisation ACER selbst, sondern auch für deren Personal in der Schweiz – ohne Unterschied zur Herkunft. Damit etabliert die EU in der Schweiz eine eigenständige exterritoriale Präsenz mit weitreichender Unabhängigkeit vom Schweizer Rechtsrahmen.

Das politische Signal ist deutlich: ACER wird als faktisch gleichrangige Behörde zur Schweiz installiert, mit Rechten, die schweizerische Stellen in der EU nicht geniessen. Die Rechtsordnung verschiebt sich leise, aber folgenschwer – von der gegenseitigen Anerkennung zur strukturellen Einseitigkeit.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Anhang II Abschnitt A – Übergangsregelung für alte Strom-Einspeiseverträge – mit Preisetikett (COM(2025)309_6-2 Seite 93 bis 97) (Stichworte: Altverträge, Preisetikett, Marktöffnung 2030)

Dieser Anhang regelt, unter welchen Bedingungen bestehende Strombezugsverträge mit fixen Einspeisevergütungen – insbesondere aus der Zeit vor Marktöffnung – auch nach Inkrafttreten des Abkommens weitergeführt werden dürfen. Die Schweiz musste hier auf Drängen der EU einen Kompromiss akzeptieren, der die wirtschaftliche Tragweite dieser Altverträge sichtbar macht und sie regulatorisch einhegt.

Die Schlüsselbestimmungen:

  • Begrenzte Ausnahme: Die Schweiz darf bestehende Stromlieferverträge mit garantierten Preisen weiterhin anerkennen, sofern sie vor dem Inkrafttreten des Abkommens abgeschlossen wurden.

  • Meldepflicht: Alle solchen Verträge müssen der EU-Kommission gemeldet werden – mitsamt den effektiven Einspeisevergütungen und den Namen der beteiligten Unternehmen.

  • Dauer: Die Verträge dürfen längstens bis 2030 weiterlaufen. Danach müssen auch diese Strommengen vollständig zu Marktpreisen gehandelt werden.

  • Transparenzpflichten: Die Schweiz verpflichtet sich, jährlich die finanziellen Volumen und Auswirkungen dieser Altverträge gegenüber der EU offen zu legen – inkl. Subventionstatbestände.

Für die Schweiz bedeutet diese Regelung einen markanten Eingriff in historische Fördermechanismen und eine faktische Preisetikettierung gegenüber Brüssel. Besonders heikel: Verträge mit Strom aus grossen Wasserkraftwerken oder älteren Investitionsprojekten geraten unter Druck, wenn sie auf staatlichen Abnahmeverpflichtungen beruhen. Die EU will vermeiden, dass solche Verträge Wettbewerbsverzerrungen im grenzüberschreitenden Stromhandel verursachen.

Die Folge: Die Schweiz muss einen Teil ihrer bisherigen Souveränität über Strompreisgestaltung und Marktintegration preisgeben – selbst bei Altverträgen, die einst im öffentlichen Interesse geschlossen wurden. Die Übergangsregelung schützt zwar formell bestehende Investitionen, zwingt aber zur vollständigen Marktöffnung bis 2030 – mit allen Konsequenzen für Fördermodelle, Vertragsfreiheit und Versorgungsmodelle.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Anhang II Abschnitt B – Übersicht über die entschädigungsberechtigten Altverträge (COM(2025)309_6-2 Seite 98) (Stichworte: Altverträge, Vergütung, Transparenzpflicht)

Dieser Abschnitt enthält eine tabellarische Liste aller bestehenden Strombezugsverträge mit festen Einspeisevergütungen, die nach Artikel 1 des Anhangs II Abschnitt A noch bis spätestens 2030 fortgeführt werden dürfen. Er bildet somit das regulatorische Inventar jener Verträge, die unter die Übergangsregelung fallen – samt Laufzeiten, Mengen und Vergütungshöhen.

Für die Schweiz ist dieser Abschnitt aus drei Gründen zentral:

  1. Preispolitische Transparenz gegenüber der EU: Die Schweiz legt offen, in welchen Fällen sie Strom weiterhin nicht zum Marktpreis einkauft. Das reduziert ihren Handlungsspielraum gegenüber der Kommission und macht jede Form von Ausnahmeregelung sichtbar.

  2. Quasi-Legitimation durch Auflistung: Nur die hier aufgelisteten Verträge gelten als entschädigungsberechtigt und werden vom Abkommen geschützt. Neue Verträge oder nachträgliche Verlängerungen sind ausgeschlossen. Das erhöht den Druck auf Schweizer Vertragspartner, rechtzeitig auf marktkonforme Modelle umzusteigen.

  3. Förderpolitik unter Beobachtung: Die Liste gibt der EU eine faktische Aufsicht über die noch bestehenden nationalen Förder- und Abnahmeverpflichtungen – selbst wenn diese historisch begründet sind. Das hat Signalwirkung für andere Sektoren: Fördermodelle mit langfristigen Preisgarantien stehen künftig generell auf dem Prüfstand, wenn sie mit EU-Marktregeln kollidieren.

Mit diesem Abschnitt gibt die Schweiz ein Stück energiepolitischer Eigenständigkeit auf – auch symbolisch. Denn nicht nur die Verträge selbst, sondern auch ihre Duldung wird nun durch Brüssel kontrolliert.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Anhang II Abschnitt C – Grenzwasserkraftwerke mit befristetem Einspeisevorrang (COM(2025)309_6-2 Seite 99) (Stichworte: Grenzwasserkraftwerke, Einspeisevorrang, Völkerrecht)

In diesem Abschnitt sind spezifische Grenzwasserkraftwerke aufgeführt, denen die Schweiz bis spätestens Ende 2030 einen befristeten Einspeisevorrang einräumen darf – auch wenn dieser gegen die Wettbewerbsregeln des Strombinnenmarkts verstößt. Es handelt sich dabei um Anlagen an der französischen Grenze, die auf völkerrechtlicher Basis mit Frankreich geregelt sind.

Für die Schweiz ist dieser Abschnitt politisch und wirtschaftlich heikel – aus drei Gründen:

  1. Temporäre Ausnahme mit Ablaufdatum: Die Schweiz darf den Einspeisevorrang nur noch bis Ende 2030 gewähren. Danach müssen auch diese Anlagen ihre Energie zu Marktbedingungen absetzen – egal ob sie auf jahrzehntealten Staatsverträgen beruhen. Dies kann für Betreiber erhebliche wirtschaftliche Folgen haben.

  2. Internationale Verträge unter EU-Kompatibilitätsdruck: Der Abschnitt signalisiert klar: Auch bilaterale völkerrechtliche Energieabkommen (z. B. mit Frankreich) unterliegen künftig der Kompatibilitätsprüfung mit dem EU-Strommarktrecht. Das tangiert die aussenpolitische Vertragsfreiheit der Schweiz.

  3. Anpassungsdruck für regionale Energiepolitik: Die betroffenen Grenzkraftwerke stehen oft im Zentrum regionaler Versorgungs- und Strukturpolitik. Mit dem Wegfall des Einspeisevorrangs ab 2030 gerät dieses energiepolitische Instrument unter Legitimationsdruck – und mit ihm auch die regionalen Finanzflüsse, Gemeindeverträge oder Abgeltungsmodelle.

Dieser Abschnitt wirkt unscheinbar – doch er markiert eine rote Linie: Altverträge mit Einspeisevorrang sind noch toleriert, aber nur vorübergehend. Die Schweiz akzeptiert damit den Vorrang des europäischen Marktprinzips – selbst dort, wo sie bisher eigene aussen- und strukturpolitische Interessen verfolgt hat.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Anhang III – Staatliche Beihilfen und Subventionen (COM(2025)309_6-2 Seite 100 bis 104) (Stichworte: Beihilfen, Subventionen, Förderpolitik)

Dieser Anhang verpflichtet die Schweiz zur Übernahme zentraler EU-Regeln im Bereich der staatlichen Beihilfen im Elektrizitätssektor – also bei Subventionen, Förderprogrammen und wirtschaftlichen Vorteilen zugunsten bestimmter Unternehmen oder Technologien.

Für die Schweiz bedeutet das:

  1. Anwendung des EU-Beihilfebegriffs: Die Schweiz akzeptiert den unionsrechtlichen Beihilfebegriff im Elektrizitätsbereich – inklusive der Auslegung durch die EU-Kommission und den Gerichtshof der EU. Das umfasst nicht nur direkte Subventionen, sondern auch steuerliche Vorteile, Abnahmegarantien, vergünstigte Netznutzung oder spezielle Strompreise für einzelne Nutzergruppen.

  2. Meldepflichten an die EU-Kommission: Künftig muss die Schweiz sämtliche geplanten Beihilfemaßnahmen im Strombereich der EU-Kommission melden, sofern sie den Wettbewerb oder Handel im Binnenmarkt beeinträchtigen könnten. Die Kommission kann deren Vereinbarkeit mit dem Stromabkommen prüfen und verlangt ggf. Änderungen oder die Rückforderung von gewährten Mitteln.

  3. Rückforderungspflicht bei rechtswidrigen Beihilfen: Wenn eine schweizerische Maßnahme nach EU-Massstab als nicht vereinbar beurteilt wird, muss die Schweiz die Beihilfe zurückfordern – auch gegen den Willen der betroffenen Akteure. Das betrifft z. B. Industrie- oder Standortförderungen mit Strombezug, kommunale Querfinanzierungen oder kantonale Sondertarife.

  4. Politische Kontrolle über Stromförderung schwindet: Die Schweiz kann zwar weiterhin eigene Förderinstrumente ausgestalten – z. B. für erneuerbare Energien oder Versorgungssicherheit. Doch alle diese Instrumente unterliegen künftig der EU-Beihilfekontrolle. Der Spielraum für nationale Politiken wird dadurch eingeschränkt, insbesondere für kantonale Modelle, sektorielle Entlastungen oder Differenzverträge.

  5. Verlagerung der Letztkompetenz: Auch wenn der Begriff „Zuständigkeit“ vermieden wird, liegt die Letztentscheidung faktisch bei der EU-Kommission. Sie entscheidet verbindlich über die Zulässigkeit staatlicher Fördermaßnahmen – selbst wenn diese nur innerhalb der Schweiz wirken.

Fazit: Mit diesem Anhang wird ein empfindlicher Hebel an die EU übergeben: die Kontrolle über staatlich gesteuerte Stromförderung. Zwar bleibt die Schweiz formell souverän – faktisch aber übernimmt sie die Beihilfedisziplin der EU, inklusive Meldepflicht, Rückforderung und Anpassungsdruck. Für viele bestehende Modelle auf Bundes-, Kantons- oder Gemeindeebene (z. B. Quersubventionierungen, Versorgungsaufträge, Regionaltarife) könnte das erhebliche Folgen haben.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Anhang IV – Rechtsakte für Beihilfen (COM(2025)309_6-2 Seite 105 bis 107) (Stichworte: Beihilferecht, Leitlinien, AGVO, CEEAG)

Dieser Anhang listet die spezifischen EU-Rechtsakte auf, welche im Zusammenhang mit staatlichen Beihilfen im Strombereich für die Schweiz verbindlich werden. Die Schweiz verpflichtet sich, diese Rechtsakte zu übernehmen und bei der Prüfung ihrer Fördermaßnahmen anzuwenden – inklusive aller künftigen Änderungen durch die EU.

Für die Schweiz bedeutet das konkret:

  1. Verbindlichkeit von Kommissionsverordnungen: Die Schweiz wendet künftig zentrale EU-Verordnungen direkt an, wie etwa die AGVO – die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung. Diese definiert, unter welchen Bedingungen staatliche Beihilfen ohne vorherige Genehmigung zulässig sind. Damit übernimmt die Schweiz das komplette Prüfschema der EU für „erlaubte“ und „nicht erlaubte“ Beihilfen.

  2. Geltung von Beihilfeleitlinien: Die Schweiz akzeptiert auch die einschlägigen Leitlinien der EU-Kommission für Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen (CEEAG). Diese legen detailliert fest, welche Formen der Förderung von erneuerbarer Energie, Versorgungssicherheit, Infrastruktur oder Speichertechnologien zulässig sind – mit quantitativen Schwellenwerten, Ausschreibungspflichten und Technologieneutralität.

  3. Dynamische Übernahme künftiger Anpassungen: Der Anhang verpflichtet die Schweiz zur laufenden Übernahme der jeweils gültigen Fassung dieser Rechtsakte – auch wenn sie nach Vertragsabschluss einseitig durch die EU geändert werden. Der Gemischte Ausschuss bestätigt jeweils formell die Übernahme, aber ein Vetorecht der Schweiz besteht nicht.

  4. Technokratische Steuerung nationaler Förderpolitik: Die Anwendung dieser Rechtsakte erfolgt über die schweizerischen Verwaltungsbehörden – insbesondere das BFE und die ElCom. Diese müssen künftig jede Fördermaßnahme im Strombereich nicht nur politisch, sondern auch juristisch im Lichte des EU-Beihilferechts rechtfertigen. Die politischen Entscheidungsspielräume schrumpfen.

  5. Einschränkung kantonaler und kommunaler Spielräume: Viele regionale Förderprogramme, etwa Investitionsbeiträge für Speicher, Spezialtarife für Gewerbe oder Beiträge zu Arealnetzen, könnten an EU-Vorgaben scheitern – auch wenn sie lokal akzeptiert sind. Die EU-Vorgaben zielen auf Wettbewerbsneutralität, nicht auf Schweizer Realitäten.

Fazit: Dieser Anhang zementiert die operative Geltung des EU-Beihilferechts im Strombereich für die Schweiz. Die relevanten Verordnungen und Leitlinien werden integraler Bestandteil des schweizerischen Förderregimes – mit weitreichenden Folgen für den Gestaltungsspielraum von Bund, Kantonen und Gemeinden. Politisch definierte Ziele müssen künftig technokratisch an EU-Vorgaben gespiegelt und ggf. angepasst werden – auch ohne Zustimmung der Schweiz.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Anhang V – Umwelt - Wie das EU-Umweltrecht zur verbindlichen Richtschnur für Schweizer Stromprojekte wird (COM(2025)309_6-2 Seite 108 bis 111) (Stichworte: Umweltrecht, UVP, Natura 2000, Habitat)

Dieser Anhang regelt, wie das Stromabkommen die umweltrechtlichen Vorgaben der EU in der Schweiz wirksam macht – insbesondere bei Infrastrukturvorhaben, Stromerzeugung und Netzausbau. Die Schweiz verpflichtet sich zur Anwendung ausgewählter EU-Umweltnormen, soweit sie im Zusammenhang mit Elektrizität stehen.

Für die Schweiz bedeutet das konkret:

  1. Verpflichtende Übernahme zentraler EU-Umweltrichtlinien: Die Schweiz muss mehrere EU-Richtlinien vollständig anwenden – u. a. die UVP-Richtlinie (Umweltverträglichkeitsprüfung), die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (Natura 2000) und die Vogelschutzrichtlinie. Diese gelten für Projekte wie Kraftwerke, Leitungen oder Speicheranlagen. Damit wird das Genehmigungsrecht europäisiert – inklusive naturschutzrechtlicher Prüfungspflichten.

  2. Konkrete Integration über Anhang IV: Die relevanten Richtlinien sind in Anhang IV explizit aufgeführt. Sie werden dynamisch übernommen, das heisst: Auch künftige Änderungen durch die EU müssen mitvollzogen werden. Zwar besteht ein gemischter Ausschuss, der Änderungen formell bestätigt – ein faktisches Mitbestimmungsrecht der Schweiz gibt es jedoch nicht.

  3. Umweltschutz erhält Vorrang – auch vor Versorgungssicherheit: Der EU-Rechtsrahmen legt grossen Wert auf den Schutz sensibler Gebiete und Arten. Das kann zu Konflikten mit nationalen Energiezielen führen – etwa beim Bau von Wasserkraftwerken, Leitungskorridoren oder Speichern. Schweizer Projekte könnten gestoppt oder modifiziert werden müssen, selbst wenn sie im nationalen Interesse stehen.

  4. Klagerechte für Umweltorganisationen: Die Anwendung der EU-Umweltnormen kann zur Ausweitung der Klagerechte führen. Umweltorganisationen haben unter EU-Recht vielfach stärkere Einspruchsrechte bei Planungs- und Bauvorhaben – auch das muss die Schweiz umsetzen. Damit verändern sich die rechtlichen Rahmenbedingungen bei Grossprojekten fundamental.

  5. Verwaltungsaufwand und Verzögerungen: Die Detailanforderungen des EU-Umweltrechts – etwa zur Alternativenprüfung, Habitatschutz oder Öffentlichkeitsbeteiligung – können zu deutlichen Verfahrensverlängerungen führen. Der Planungsprozess wird komplexer und schwerer steuerbar. Für Netzausbau und neue Kraftwerke ergibt sich ein zusätzlicher Koordinationsbedarf – ohne nationale Abkürzungsmöglichkeiten.

Fazit: Mit diesem Anhang verpflichtet sich die Schweiz, zentrale Teile des EU-Umweltrechts verbindlich auf ihre Strominfrastruktur anzuwenden. Damit verlagert sich die umweltrechtliche Steuerungskompetenz de facto nach Brüssel – in einem Bereich, der direkt über Realisierung, Kosten und Zeitpläne von Energieprojekten entscheidet. Auch wenn Umweltanliegen in der Schweiz breit geteilt werden, verliert der politische Prozess an Flexibilität – und gewinnt an juristischer Komplexität.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Anhang VI – Erneuerbare Energien - Wie die Schweiz das EU-Regelwerk für Erneuerbare übernimmt – umfassend, dauerhaft und mit Berichtspflicht (COM(2025)309_6-2 Seite 112 bis 127) (Stichworte: Erneuerbare Energien, Zielbindung, Berichtspflichten)

Dieser Anhang überträgt der Schweiz das EU-Recht zur Förderung von erneuerbaren Energien – insbesondere die überarbeitete Richtlinie (EU) 2018/2001 und eine Reihe delegierter und durchführender Verordnungen. Die Umsetzung erfolgt verbindlich und umfassend, teils mit inhaltlichen Anpassungen. Die Schweiz verpflichtet sich zu Zielen, Förderrahmen, Nachhaltigkeitskriterien und Marktzugängen im Einklang mit der EU – ohne Stimmrecht bei der Weiterentwicklung.

Für die Schweiz bedeutet das konkret:

  1. Zielbindung für den Anteil erneuerbarer Energie: Die Schweiz legt verbindlich einen Richtwert von 48,4 % erneuerbare Energien am Bruttoendenergieverbrauch für 2030 fest – im Einklang mit der EU-Richtlinie. Dieser Wert kann nach 2030 durch den Gemischten Ausschuss angepasst werden, wenn die EU ihre Zielsetzung erhöht. Die Schweiz wird damit Teil des europäischen Zielsystems – mit Berichtspflicht alle zwei Jahre.

  2. Verpflichtender Rahmen für Förderpolitik: Die Schweiz muss ein umfassendes Instrumentarium schaffen, um den Ausbau von erneuerbarer Elektrizität zu fördern. Dies betrifft auch sogenannte PPA-Verträge (Power Purchase Agreements) und die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für Netzanschlüsse, Speicher, Marktintegration und Standortwahl. Die Schweiz muss Hindernisse aktiv abbauen – analog zur Pflicht in EU-Staaten.

  3. Ausbaupflicht mit Blick auf systemische Anforderungen: Der Schweizer Förderrahmen muss den Bedarf an erneuerbarer Elektrizität für Verkehr, Industrie, Gebäude, Wärme/Kälte und synthetische Kraftstoffe berücksichtigen. Der Ausbau wird damit funktional in andere Politikbereiche eingebunden – mit Wirkung auf Netzplanung, Versorgungssicherheit und Infrastrukturpolitik.

  4. Umfassende Regelübernahme – mit wenigen Ausnahmen: Zwar wird ein Teil der EU-Richtlinie explizit ausgenommen (z. B. Artikel zu Heizenergie, Biokraftstoffen aus Nahrungsmitteln oder spezifische Berechnungsmethoden), doch der überwiegende Teil gilt in der Schweiz künftig verbindlich – inklusive komplexer Nachhaltigkeits- und Emissionsvorgaben.

  5. Technische Detailverordnungen gelten mit: Die Schweiz übernimmt delegierte Rechtsakte zur Zertifizierung, Datenbanken, Berechnungsmethoden, Nachweisführung und zum Umgang mit Daten – darunter auch Bestimmungen zur Rückverfolgbarkeit von Brennstoffen und zu Informationssystemen auf EU-Ebene. Die Teilnahme an der EU-Datenbank ist Pflicht.

  6. Institutionelle Einbindung ohne Mitentscheidung: Die Schweiz darf bei der Umsetzung mitreden, aber nicht mitentscheiden. Die EU kann technische Vorschriften ändern oder neue erlassen – die Schweiz ist daran gebunden. Sie kann zwar technische Anpassungen verlangen, hat aber kein Vetorecht. Dies betrifft auch künftige Systemwechsel (z. B. bei Herkunftsnachweisen oder Bilanzierung).

  7. Berichtspflichten und Kontrollen: Die Schweiz muss alle zwei Jahre einen Fortschrittsbericht vorlegen. Sie muss Installateure zertifizieren, Schulungsprogramme aufbauen und einen öffentlichen Überblick über ihre Förderinstrumente liefern. Damit wird die nationale Energiepolitik in ihrer Umsetzung überwachbar und vergleichbar.

Fazit: Mit diesem Anhang wird die Schweiz Teil des europäischen Rahmens für erneuerbare Energien – rechtlich, institutionell und operativ. Die nationale Förderpolitik muss sich künftig an europäischen Zielen, Methoden und Pflichten orientieren. Zwar bleiben gewisse nationale Anpassungen möglich, doch das System folgt einer EU-Logik: technisch detailliert, politisch dynamisch und institutionell asymmetrisch. Die Schweiz hat Berichtspflichten, aber kein Mitentscheidungsrecht – bei wachsendem Regulierungsaufwand und wachsender öffentlicher Erwartungshaltung.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Anhang VII – Finanzielle Beiträge der Schweiz - Wie die Schweiz in das EU-Energiesystem einzahlt – ohne volle Mitsprache und mit dynamischen Kosten (COM(2025)309_6-2 Seite 128 bis 133) (Stichworte: Finanzierung, ACER, EU-Datenbank, Beiträge)

Dieser Anhang regelt, wie die Schweiz sich finanziell an bestimmten Agenturen, Systemen und Tätigkeiten der EU beteiligt. Grundlage ist Artikel 49 des Abkommens. Die Beiträge orientieren sich an den tatsächlich bewilligten EU-Haushaltsmitteln, werden jährlich neu berechnet und gelten unabhängig vom Umfang des Mitspracherechts der Schweiz.

Für die Schweiz bedeutet das konkret:

  1. Beitrag an die Energieagentur ACER (85 % des EU-Anteils): Die Schweiz finanziert die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) mit einem jährlichen Beitrag in Höhe von 85 % des EU-Beitrags. ACER kann Entscheidungen mit Wirkung für die Schweiz treffen – die Schweiz selbst hat aber kein Stimmrecht. Die Finanzierung erfolgt also ohne institutionelle Gleichstellung.

  2. Beteiligung an der EU-Dateninfrastruktur: Die Schweiz beteiligt sich an den Kosten der „Unionsdatenbank“ gemäß der Richtlinie über erneuerbare Energien. Diese Datenbank ermöglicht etwa die Nachverfolgung von erneuerbaren Brennstoffen oder Herkunftsnachweisen. Auch hier trägt die Schweiz Kosten, obwohl sie weder im Rat noch im Parlament der EU vertreten ist.

  3. Keine weiteren Tätigkeiten erfasst – vorerst: Der Anhang listet unter „andere Tätigkeiten“ derzeit keine weiteren Positionen auf. Dies kann sich aber ändern, da der Gemischte Ausschuss neue Beiträge beschließen kann. Eine automatische Erweiterung ist damit nicht ausgeschlossen.

  4. Komplexe Zahlungsmechanik mit Vorschüssen und Abrechnungen: Die Kommission stellt Zahlungsaufforderungen an die Schweiz. Diese bestehen in der Regel aus zwei Tranchen – eine im April, eine im Oktober. Für das erste Jahr gilt ein Sonderverfahren mit einer einmaligen Aufforderung. Der Beitrag wird in Euro bezahlt, inklusive möglicher Verzugszinsen bei Zahlungsverzug (EZB-Zinssatz plus 3,5 Prozentpunkte).

  5. Jährliche Anpassung der Beiträge: Wenn sich der operative Beitrag im Nachhinein ändert (z. B. weil weniger Mittel gebunden wurden), wird der Schweizer Beitrag im Folgejahr angepasst. Die Schweiz zahlt also ex post nach – oder erhält Geld zurück. Grundlage ist jeweils der Beitragsschlüssel des Vorjahres.

  6. Reduktion bei verspätetem Inkrafttreten: Sollte das Abkommen nicht zu Jahresbeginn in Kraft treten, wird der Beitrag für das erste Jahr anteilig berechnet („pro rata temporis“). Entscheidend ist dabei das Datum des Inkrafttretens und der verbleibende Anteil am Kalenderjahr.

  7. Fazit: Die Schweiz beteiligt sich finanziell am Betrieb zentraler EU-Institutionen im Strombereich – ohne institutionelle Gleichstellung. ACER wird mitfinanziert, auch wenn Entscheidungen für die Schweiz verbindlich sein können, ohne dass sie stimmberechtigt ist. Die Zahlungssystematik ist komplex, basiert auf jährlich schwankenden EU-Haushalten und kann dynamisch ausgeweitet werden. Der Beitrag stellt somit nicht nur einen Preis für den Marktzugang dar, sondern auch ein politisches Signal: finanzielle Solidarität ohne institutionelle Mitsprache.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Protokoll über das Schiedsgericht, Kapitel I – Übersicht und Bewertung - Wie Streitigkeiten künftig entschieden werden – mit Einbettung in ein EU-nahes Verfahren ohne Schweizer Letztinstanz (COM(2025)309_6-2 Seite 134 bis 138) (Stichworte: Schiedsgericht, Einleitung, Verfahrensstart)

Dieses Kapitel bildet den Einstieg ins Schiedsgerichtssystem des Abkommens. Es legt die grundlegenden Verfahren, Zuständigkeiten und Abläufe fest, wenn sich die Schweiz und die EU nicht über die Auslegung oder Anwendung des Stromabkommens einig sind. Dabei geht es um mehr als nur Formalitäten – es ist der institutionelle Kern der Rechtsdurchsetzung im Streitfall.

Für die Schweiz bedeutet das konkret:

  1. Anwendungsbereich auf zentrale Abkommensartikel beschränkt: Das Protokoll gilt nur für Streitigkeiten, die gemäß Artikel 32 Absatz 2 (Streit über die Auslegung des Abkommens) oder Artikel 33 Absatz 2 (Streit über Ausgleichsmaßnahmen) an ein Schiedsgericht übergeben werden. Andere Konfliktformen (z. B. politische Blockaden oder technische Konflikte) sind nicht direkt abgedeckt.

  2. Ständiger Schiedsort Den Haag – mit EU-naher Anbindung: Das Internationale Büro des Ständigen Schiedshofs in Den Haag übernimmt die Kanzlei- und Sekretariatsfunktionen. Damit wird das Verfahren geografisch und institutionell aus dem Binnenverhältnis Schweiz–EU herausgelöst – auch symbolisch.

  3. Zustellung, Fristen, Anträge – nach klarer prozessualer Ordnung: Notifikationen (auch elektronisch) erfolgen über klar definierte Kanäle. Die für die Schweiz zuständige Adresse ist die Europa-Abteilung des EDA, für die EU der Juristische Dienst der Kommission. Fristen richten sich nach Tagen und fallen bei Feiertagen nicht automatisch weg.

  4. Einleitung durch Schiedsanzeige – mit Pflichtangaben: Eine Streitpartei kann ein Schiedsverfahren einleiten, indem sie eine detaillierte Schiedsanzeige übermittelt. Diese muss unter anderem alle strittigen Artikel, die rechtliche Grundlage und die benannten Schiedsrichter enthalten. Damit beginnt das formelle Verfahren.

  5. Antwortfrist und weitere Fristen fix definiert – keine Blockademöglichkeit: Die beklagte Partei muss innerhalb von 60 Tagen antworten. Auch wenn sie nicht reagiert oder die Schiedsanzeige als ungenügend bezeichnet, läuft das Verfahren weiter. Es gibt kein Vetorecht gegen die Einsetzung des Gerichts.

  6. Parteivertretung durch Anwälte oder Berater möglich: Jede Seite kann sich durch Vertreter und juristische Beistände vertreten lassen. Ein Wechsel muss dem Gericht gemeldet werden. Damit wird klar, dass das Verfahren formell und professionell abläuft – es ist kein diplomatischer Dialog, sondern ein halbjurisdisches Verfahren.

Fazit: Kapitel I des Schiedsprotokolls schafft ein verbindliches Verfahren zur Streitbeilegung – mit starker Formalisierung und internationaler Einbindung. Zwar gilt das Modell beidseitig, doch durch den Gerichtsort Den Haag und die strukturelle Nähe zur EU wird das Machtungleichgewicht zwischen der Schweiz und der EU institutionell zementiert. Der Streit wird nicht politisch, sondern juristisch beigelegt – in einem Rahmen, den die Schweiz nicht allein bestimmen kann. Für viele strittige Fragen ist das Schiedsgericht somit die letzte, aber nicht schweizerisch kontrollierbare Instanz.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Protokoll über das Schiedsgericht, Kapitel II – Zusammensetzung des Schiedsgerichts - Wie das Schiedsgericht zusammengesetzt wird – mit klarer EU-Anbindung und beschränkter Mitsprache für die Schweiz (COM(2025)309_6-2 Seite 139 bis 143) (Stichworte: Zusammensetzung, Richterliste, EU-Einfluss)

Dieses Kapitel beschreibt, wie das Schiedsgericht für Streitigkeiten gebildet wird, wie viele Personen es umfasst, wer sie nominiert und welche Anforderungen sie erfüllen müssen. Es geht dabei nicht nur um Organisation, sondern um die Frage, wer letztlich über Differenzen zwischen der Schweiz und der EU entscheiden darf – und mit welchen Bindungen.

Für die Schweiz bedeutet das konkret:

  1. Drei oder fünf Schiedsrichter – je nach Wunsch einer Partei: Standardmäßig besteht das Schiedsgericht aus drei Schiedsrichtern. Auf Antrag einer Partei (Schweiz oder EU) kann es auf fünf erweitert werden. Diese Wahl ist also nicht auf Konsens angewiesen – schon einseitiger Wunsch genügt.

  2. Parteien nominieren, Präsident wird gemeinsam gewählt – oder durch EU-nahes Büro: Jede Partei bestimmt einen (bzw. bei fünf insgesamt zwei) Schiedsrichter. Diese wählen gemeinsam den Präsidenten. Kommt keine Einigung zustande, ernennt der Generalsekretär des Ständigen Schiedshofs in Den Haag den Vorsitzenden. Damit liegt die letzte Entscheidung über den Vorsitz außerhalb der Schweiz – bei einer international eingebundenen, aber nicht schweizerisch legitimierten Institution.

  3. Gemeinsame Richterliste – aus mehreren Abkommen mit der EU: Eine zentrale Richterliste wird gemeinsam für alle Binnenmarktabkommen erstellt – inklusive Strom, Gesundheit, Landwirtschaft und Kohäsion. Diese Liste gilt für alle bilateralen Streitigkeiten. Sie ist also nicht spezifisch auf das Stromabkommen zugeschnitten, sondern Teil eines übergeordneten EU-Schweiz-Vertragssystems.

  4. Formelle Anforderungen: unabhängig, sachkundig, europarechtsaffin: Alle Schiedsrichter müssen hochqualifiziert, unabhängig und ohne Interessenkonflikte sein. Sie müssen juristische und fachliche Erfahrung im Strombereich mitbringen. Der Vorsitzende braucht zusätzliche Erfahrung in Streitbeilegung. Das reduziert den Kreis möglicher Schweizer Kandidaten erheblich – vor allem, wenn sie gleichzeitig politische Unabhängigkeit und europäische Anschlussfähigkeit erfüllen müssen.

  5. EU-lastiger Auswahlmechanismus – mit strukturellem Ungleichgewicht: Wird kein Schiedsrichter benannt, ernennt das Büro in Den Haag eine Person aus der Richterliste – auf Vorschläge einer oder beider Parteien. In der Praxis hat die EU hier ein Gewichtsvorteil, da sie institutionell koordinierter, erfahrener und verfahrensmächtiger auftritt. Die Schweiz agiert hingegen als Einzelstaat ohne supranationale Infrastruktur.

  6. Erklärungspflicht, Absetzung, Nachbesetzung – nach internationalen Standards: Jeder Schiedsrichter muss potenzielle Interessenkonflikte offenlegen. Parteien können Richter aus triftigem Grund ablehnen. Auch bei Rücktritt oder Unfähigkeit gibt es ein geregeltes Verfahren zur Nachbesetzung – wiederum unter Einbezug des Generalsekretärs des Ständigen Schiedshofs.

Fazit: Die Zusammensetzung des Schiedsgerichts folgt einem hochformalisierten, aber stark EU-geprägten Muster. Zwar hat die Schweiz Nominierungsrechte, doch der Vorsitzende – als Schlüsselposition – kann durch ein internationales Gremium ohne schweizerische Kontrolle bestimmt werden. Die Anbindung an ein System übergeordneter Richterlisten und der Rückgriff auf den Ständigen Schiedshof zeigen, dass dieses Schiedsgericht kein neutrales Ad-hoc-Gremium ist, sondern Teil eines strukturellen EU-Schweiz-Gefüges. Das Kräfteverhältnis ist nicht paritätisch, auch wenn es formal symmetrisch erscheint.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Protokoll über das Schiedsgericht, Kapitel III – Ablauf und Regeln des Schiedsverfahrens - Wie Streitigkeiten zwischen der Schweiz und der EU abgewickelt werden – formal korrekt, aber mit klarer letzter Instanz in Luxemburg (COM(2025)309_6-2 Seite 144 bis 156) (Stichworte: Verfahrensregeln, EuGH, Ablauf)

Dieses Kapitel legt im Detail fest, wie ein Schiedsverfahren abläuft – von der ersten Klageschrift bis zum Entscheid. Es regelt Fristen, Sprachwahl, Beweisführung, Vertretung und den Zugang zum Gerichtshof der EU. Der Ablauf folgt einem klar strukturierten, aber stark EU-orientierten Verfahrensmodell. Für die Schweiz bedeutet das eine formale Mitsprache, aber wenig Raum für eigene Rechtsentwicklung oder nationale Letztentscheide.

Was das konkret für die Schweiz heisst:

  1. Start, Sprache, Verhandlung: Der Streit beginnt mit einer Klageschrift. Der Ort ist Den Haag, die Verfahrenssprachen sind Französisch und Englisch. Das Schiedsgericht kann schriftlich oder mündlich entscheiden, wobei öffentliche Verhandlungen grundsätzlich vorgesehen sind – außer es liegen gewichtige Gründe dagegen vor.

  2. Verfahrensführung durch internationales Büro: Das Internationale Büro des Ständigen Schiedshofs übernimmt die Sekretariatsdienste. Es fungiert als zentrale Kommunikationsschnittstelle. Auch hier: keine schweizerische Institution, sondern vollständige externe Verfahrensleitung.

  3. Klare Fristen und zügiger Ablauf: Innerhalb von maximal 12 Monaten muss der Schiedsspruch erfolgen – in dringlichen Fällen innerhalb von 6 Monaten oder sogar weniger. Damit ist das Verfahren zwar effizient, bietet aber wenig Spielraum für komplexe innerstaatliche Abklärungen oder politische Rückbindungen.

  4. Anrufung des EU-Gerichtshofs (EuGH): Das Schiedsgericht muss den EuGH anrufen, wenn Unionsrecht betroffen ist (Art. 29, 32 Abs. 3). Der EuGH entscheidet dann verbindlich. Das Verfahren wird so lange ausgesetzt. Für die Schweiz heisst das: In Fragen des EU-Rechts urteilt nicht das Schiedsgericht selbst, sondern letztlich der Gerichtshof der EU – dessen Urteile sie übernehmen muss, ohne selbst Richter zu stellen.

  5. Vorläufige Massnahmen – aber beschränkt: Vorläufige Massnahmen können beantragt werden (z. B. Aussetzung von Ausgleichsmaßnahmen), sind aber an strenge Bedingungen geknüpft. Einseitige Handlungen der Schweiz – etwa zur Sicherung nationaler Interessen – sind in diesem Verfahren nur schwer durchsetzbar.

  6. Beweise, Zeugen, Gutachten: Das Schiedsgericht hat weitreichende Befugnisse zur Beweiserhebung, kann Sachverständige beiziehen und Auskünfte einfordern. Auch hier gibt es keine Sonderrechte für die Schweiz. Alle Informationen werden den Parteien zugänglich gemacht – aber es entscheidet das Schiedsgericht allein, welche Beweise als zulässig und überzeugend gelten.

  7. Säumnis und Versäumnisse: Wenn eine Partei nicht mitmacht oder verspätet agiert, wird das Verfahren dennoch fortgeführt. Das Schiedsgericht entscheidet auf Basis der vorliegenden Informationen – eine Schutzklausel gegen Blockadeversuche, aber auch gegen souveräne Zurückhaltung.

  8. Abschluss, Wiedereröffnung, Rückzug: Das Schiedsgericht kann das Verfahren schließen – auch bei Rückzug der Klage oder fehlender Weiterführbarkeit. Eine Wiedereröffnung ist möglich, aber nur in außergewöhnlichen Fällen. Auch hier zeigt sich: Einmal gestartet, läuft das Verfahren strukturiert zu einem Entscheid.

Fazit: Das Schiedsverfahren ist ein formal hochentwickelter, klar regulierter Streitbeilegungsmechanismus – angelehnt an das System der EU. Zwar ist die Schweiz gleichberechtigte Partei in der Verfahrensführung, doch inhaltlich dominiert die EU-Logik: Die letzte Instanz für alle Auslegungsfragen des Unionsrechts ist der Gerichtshof der EU – ohne schweizerische Mitentscheidung. Das bedeutet: Die Schweiz akzeptiert nicht nur das materielle EU-Recht, sondern auch dessen Deutungshoheit – in einem Verfahren, das durch eine externe Infrastruktur getragen wird. Das Modell sichert die Rechtsstaatlichkeit, reduziert aber den souveränen Spielraum erheblich.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Protokoll über das Schiedsgericht, Kapitel IV – Schiedsspruch: Inhalt, Wirkung, Kosten - Wie der Schiedsspruch gesprochen, durchgesetzt und finanziert wird – mit voller Bindung für die Schweiz, aber ohne Mitentscheidung beim EU-Recht (COM(2025)309_6-2 Seite 156 bis 162) (Stichworte: Schiedsspruch, Kosten, Verbindlichkeit)

Dieses Kapitel regelt, wie ein Schiedsgericht entscheidet, wie verbindlich das Urteil ist, welche Regeln zur Auslegung gelten und wie die Kosten aufgeteilt werden. Für die Schweiz bedeutet das: Sie unterstellt sich einem durchorganisierten System, in dem der Schiedsspruch vollumfänglich bindend ist – auch wenn er auf EU-Recht basiert, das die Schweiz nicht mitgestaltet.

Was das konkret für die Schweiz heisst:

  1. Mehrheitsentscheid mit Verbindlichkeit: Das Schiedsgericht entscheidet grundsätzlich mit Stimmenmehrheit – eine Einigkeit aller Richter ist nicht nötig. Der Entscheid ist schriftlich, begründet,endgültig und für beide Parteien verbindlich. Die Schweiz kann den Entscheid nicht revidieren, nur umsetzen.

  2. Veröffentlichung und Transparenz – aber kein Schutz auf schweizerischer Ebene: Der Schiedsspruch wird vom Internationalen Büro veröffentlicht. Dabei gelten Datenschutzregeln, die der Gemischte Ausschuss festlegt – auch diese wieder ohne Vetorecht der Schweiz. Eine eigenständige Kontrolle der Veröffentlichung durch schweizerische Stellen ist nicht vorgesehen.

  3. Keine Auslegungsspielräume für die Schweiz: Als „anwendbares Recht“ gilt das Abkommen, die darin genannten EU-Rechtsakte und das Völkerrecht. Entscheidend: Das Schiedsgericht entscheidet nach EU-Auslegungsregeln, insbesondere gemäß Artikel 29, der den Gerichtshof der EU als letzte Auslegungsinstanz nennt. Die Schweiz kann keine alternativen Interpretationen einbringen.

  4. Bindung an andere Schiedsentscheide: Frühere Schiedssprüche, insbesondere aus anderen Abkommen, in denen die Schweiz eingebunden ist, sind für das Schiedsgericht bindend, wenn es um Ausgleichsmaßnahmen geht. Damit entsteht ein Netz von Präjudizien, das den nationalen Spielraum weiter reduziert.

  5. Keine „gerechte“ Lösung, nur rechtliche: Das Schiedsgericht darf nicht nach Billigkeit („ex aequo et bono“) entscheiden, sondern nur nach geltendem Recht – und das ist größtenteils EU-Recht. Spielräume für politische oder pragmatische Kompromisse sind damit stark eingeschränkt.

  6. Kostenregelung: Schweiz zahlt mit: Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten sowie die Hälfte der Kosten des Schiedsgerichts. Dazu gehören:

    • die Honorare der Schiedsrichter (mit fixer Liste, durch Gemischten Ausschuss festgelegt),

    • die Reisekosten,

    • die Sekretariatskosten des Internationalen Büros.

    • Die Höhe richtet sich nach der Komplexität, dem Zeitaufwand und dem Streitwert – es ist mit beträchtlichen Beträgen zu rechnen.

  7. Vorschüsse verpflichtend: Die Schweiz muss Kostenvorschüsse leisten – anteilig und auf Aufforderung durch das Internationale Büro. Diese Vorschüsse decken alle laufenden Verfahrenskosten. Weigert sich eine Partei, kann dies zu Nachteilen im Verfahren führen.

  8. Berichtigungen möglich, Revision nicht: Rechen- oder Tippfehler im Schiedsspruch können innert 30 Tagen beantragt und innerhalb von 45 Tagen korrigiert werden – mehr aber nicht. Eine inhaltliche Überprüfung oder gar Revision ist nicht vorgesehen.

Fazit: Dieses Kapitel macht klar: Der Schiedsspruch ist endgültig, unmittelbar bindend und basiert auf einem Rechtssystem, das außerhalb der demokratischen Kontrolle der Schweiz liegt. Der Gerichtshof der EU wirkt faktisch als letzte Instanz – auch in Fragen, die schweizerische Infrastruktur, Souveränität oder Daseinsvorsorge betreffen. Die Schweiz trägt die Verfahrenskosten, unterliegt aber einem System, das sie nicht mitbestimmen kann. Die Rechtsdurchsetzung ist international gesichert – der nationale Handlungsspielraum dagegen stark begrenzt.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V

Protokoll über das Schiedsgericht, Kapitel V – Schlussbestimmung: Änderung des Schiedsprotokolls - Wie das Schiedsgerichtssystem angepasst werden kann – durch den Gemischten Ausschuss allein (COM(2025)309_6-2 Seite 163 bis 163) (Stichworte: Änderung, Gemischter Ausschuss, Verfahrensordnung)

Diese Schlussbestimmung regelt die Möglichkeit, das Schiedsprotokoll zu ändern. Der Text ist kurz, aber von großer Bedeutung: Änderungen erfolgen nicht durch nationale Parlamente, sondern ausschließlich durchBeschluss des Gemischten Ausschusses.

Was das konkret für die Schweiz heisst:

  • Der Gemischte Ausschuss, bestehend aus der Schweiz und der EU, kann das Schiedsprotokolleinseitig durch Beschluss abändern. Für die Schweiz bedeutet das keine Volksabstimmung, keine parlamentarische Mitsprache, keine direkte demokratische Kontrolle über mögliche Anpassungen des Schiedsverfahrens.

  • Es gibt keine inhaltlichen Schranken oder Vetorechte im Text. Der Ausschuss kann potenziell Verfahrensrechte ändern, Fristen verkürzen oder Kompetenzen erweitern – sofern beide Seiten im Ausschuss zustimmen. Die Schweiz hat dort nur ein einfaches Mitspracherecht, kein unabhängiges Blockaderecht.

Fazit: Die letzte Bestimmung des Schiedsprotokolls zeigt exemplarisch, wie tief die institutionelle Integration geht: Selbst die Regeln über das Streitschlichtungsverfahren – also über ein zentrales Element staatlicher Souveränität – können ohne demokratische Legitimierung angepasst werden. Es gilt: einmal beigetreten, kann die Schweiz zwar mitreden, aber nicht allein entscheiden – auch nicht über die Regeln, nach denen sie sich künftig richten muss.

Einstieg - Summary - Präambel - Vertragsteil (V: Artikelgruppe, A: Anhang, P: Protokoll):
V-I | V-II | V-III | V-IV | V-V1 | V-V2 | V-V3 | V-VI | V-VII | A-I | A-I1 | A-IIA | A-IIB | A-IIC | A-III | A-IV | A-V | A-VI | A-VII | P-I | P-II | P-III | P-IV | P-V