Die Schweiz. Eine Utopie für Europa?

Mit dem Paket Schweiz-EU schlägt der Bundesrat einen Weg ein, der langfristig zur Anpassung ans europäische Mittelmass führen könnte. Dabei wäre das Gegenteil sinnvoll. Nicht die Schweiz sollte sich der EU angleichen. Europa sollte sich ein Beispiel an der Schweiz nehmen.

Das Paket Schweiz-EU würde die Schweiz so stark wie noch nie in die EU integrieren. Ist diese zunehmende Verzahnung mit einer neuen Dynamik der Rechtsübernahme und ihren unabsehbaren Folgen wirklich der richtige Weg in die Zukunft?

Warum soll sich die Schweiz an die EU angleichen, wenn sie erfolgreicher ist als diese? Die Spitzenposition der Schweiz ist offensichtlich. Das BIP pro Kopf spricht eine klare Sprache. Die Schweiz steht an der Spitze, weil sie anders ist. Das Paket Schweiz-EU würde das ändern. Grundlegend und unumkehrbar.

Darüber lohnt es sich nachzudenken. Erstaunlich, dass diese Auseinandersetzung noch nicht stattgefunden hat. Es geht um nichts Geringeres als die Zukunft unseres Landes und kommender Generationen.

Gerne bieten wir mit diesem Text eine Nachdenkpause. Wir freuen uns, wenn Sie sich auf den vorliegenden Gegenentwurf einlassen.

Roland Voser, 14. August 2025

Hier finden Sie die Online-Quellen für folgende Themen: Vertragstext Freizügigkeitsabkommen, Vertragstext Stromabkommen, Lesehilfe EDA-Dokumente

Lesen Sie auch unsere Analyse zum Stromabkommen aus institutioneller Sicht (Link) und die Detailbetrachtung der institutionellen Elemente (Link).

 

Was waren das für Götterfunken. 

Erinnern wir uns an die Grundidee der Europäischen Union. An dieses Friedensprojekt, das auf dem leidgeprüften Kontinent Zusammenarbeit, Wohlstand, Sicherheit und Frieden schaffen will. An dieses Vorhaben, das gemeinsame Werte wie Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit stärken will.

Was für eine Sternstunde, als nach der deutschen Wiedervereinigung 1989 zu Beethovens Neunter alle Europäer zu Brüdern und Schwestern wurden (Link).

Was für ein Aufbruch, welch positive Energie, die den Kontinent neu erwachen und wachsen liess. Wer war damals nicht Teil dieser grossen europäischen Geschichte?

Zwei Jahre später, 1991, fanden die EU und die Schweiz einen bilateralen Weg. Auch die einzige direkte Demokratie der Welt wurde Teil dieses Vorhabens, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren.

Eine Lösung, die Unterschiede zulässt und Gemeinsamkeiten stärkt. Eine Erfolgsgeschichte, die 2004 mit den Bilateralen II fortgeschrieben wurde.

Ja, es ist viel möglich in Europa. Es ist keine Utopie.

Die Vision ist Realität geworden.

Heute, rund 35 Jahre später, ist die EU erwachsen geworden. 27 Staaten mit rund 450 Millionen Menschen gehören inzwischen zur Union. Grossbritannien trat 2020 aus und verzichtete auf die Vorteile des Binnenmarktes, um seine Souveränität zurückzuerlangen.

Doch mit dem Wachstum wuchs auch die Bürokratie. Viele Bürgerinnen und Bürger empfinden die EU heute als bürgerfern und übergriffig. In einem Ausmass, das man sonst nur aus extremen Staatsformen kennt. Es bilden sich Ländergruppen, Interessenkonflikte nehmen zu. Verträge werden nicht mehr so eingehalten, wie es einst gedacht und versprochen wurde.

Mittendrin die Schweiz, die sich weiter einfügen soll. Nach dem Scheitern des institutionellen Rahmenabkommens 2022 liegt nun das Paket Schweiz-EU vor.

Diese Perspektive kann es für die Schweiz nicht gewesen sein.

Kommen wir zur Sache. Eigentlich wissen es doch alle: Die EU würde besser funktionieren, wenn sie mehr Schweiz wagen würde. Diese These überrascht? Sie ist ganz einfach: Es braucht mehr von dem, was die Menschen am glücklichsten und wohlhabendsten macht. Mehr von dem, was funktioniert.

Könnte ein Schuss Schweizer liberal-sozialer Geist der EU helfen? Wer wollte dem ernsthaft widersprechen?

Doch in der Schweiz scheint diese Idee so abwegig, dass sie kaum jemand überhaupt denkt. Und so passiert das Gegenteil: Die Befürworter des Pakets – und mit ihnen der Bundesrat – finden, dass die Schweiz mehr EU wagen müsse. Vielleicht der besseren Kompatibilität wegen.

Doch würde die Schweiz damit etwas gewinnen? Oder Europa? Wir befürchten: Zu wenig Nachhaltiges und zu wenig wirklich Gutes. Es wird nicht reichen für die Herausforderungen, die vor uns stehen.

Das BIP pro Kopf ist keine Utopie, sondern Realität.

Im Jahr 2024 beträgt das Bruttoinlandprodukt (BIP) pro Kopf der Schweiz 103’670 US-Dollar. Der Durchschnitt ihrer Nachbarn (Österreich, Deutschland, Frankreich und Italien) liegt bei  49’752 US-Dollar. Das entspricht nur 47,9 % des Schweizer Werts. Nicht einmal die Hälfte.

Die Wachstumsdynamik der Schweiz über die letzten Jahrzehnte war deutlich höher als die ihrer Nachbarn (siehe Diagramm; Datenquelle: Weltbank / datacommons.org).

Das ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis offener Märkte, starker Eigenverantwortung und politischer Entscheide, die nahe bei den Menschen gefällt werden. Es sind die Grundprinzipien einer liberal-sozialen Gesellschaftsordnung.

Eine verantwortungsbewusste Erneuerung als qualitative Wachstumschance.

Die Entwicklung des BIP pro Kopf zeigt klar: Die Frage, ob sich die Schweiz der EU anpassen soll, ist falsch gestellt. Eine solche Anpassung wäre für beide Seiten nachteilig. Europa würde auf jene Wachstumschancen verzichten, die die Schweiz seit Jahrzehnten vorlebt. Aus Sicht der EU müsste es vielmehr darum gehen, diesen Schweizer Erfolg auf die ganze Union zu übertragen.

Für die Schweiz selbst wäre eine Angleichung besonders riskant. Als kleines Land ohne Rohstoffe droht ihr Mittelmass, vielleicht sogar weniger. Ein solcher Abstieg ist vorstellbar. Ein Angleichen an die EU wäre voraussichtlich sehr nachteilig.

Doch es gibt eine Alternative. Die Schweiz hat jetzt die Chance, ihren Vorsprung aktiv zu nutzen und den Wandel vom rein quantitativen zum qualitativen Wachstum bewusst zu gestalten. Im Interesse von Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt. Das könnte zu anderen gesellschaftlichen Prinzipien führen als jenen, die das vorliegende Paket vorgibt.

Was meinen wir mit qualitativem Wachstum? Nicht weniger, sondern besser. Nicht Verzicht, sondern gezielte Entwicklung. Es geht darum, Ressourcen, Energie und Innovation dort einzusetzen, wo sie langfristigen gesellschaftlichen Nutzen stiften. Für den sozialen Zusammenhalt, die Stabilität der Gesellschaft und eine umweltverträgliche Lebensqualität der Menschen.

Wir verstehen diese Vorstellung als strategischen Denkanstoss. Sie bedeutet, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht nur an der Menge, sondern an der Wirkung gemessen wird. Zweifellos wäre damit ein substantieller Wandel der Gesellschaft verbunden.

Verantwortlich handeln heisst zuallererst, gemeinsam zu klären, wie sich die Gesellschaft der Schweiz weiterentwickeln soll. Es geht um die Vorstellung davon, wie Wohlstand, Stabilität und Fortschritt nachhaltig gesichert werden können und welche Werte diesem Ziel zugrunde liegen sollen. Auch die EU könnte von dieser Perspektive profitieren. 

Der entscheidende Punkt ist der Unterschied.

Warum ist die Schweiz erfolgreicher als ihre Nachbarn? Wir haben dazu eine klare Antwort: Es ist die direkte Demokratie. Sie ermöglicht, dass die Menschen selbst über grundlegende Fragen abstimmen und die Regeln mitbestimmen, die für alle gelten sollen. Sich daran zu halten, ist weit stärker in den Menschen verankert, als wenn Gesetze von oben verordnet werden.

Auch die Neutralität spielt eine zentrale Rolle. Sie erlaubt es dem Kollektiv, sich auf die innere Wertschöpfung zu konzentrieren und den Individuen beste Rahmenbedingungen zu schaffen. Es ist ein konstruktiver Vorgang, der Zufriedenheit schafft. Diese Arbeitsteilung ist der Kern des schweizerischen Staatsverständnisses. Internationale Konflikte wirken dagegen destruktiv, weil sich erfahrungsgemäss die Stärkeren durchsetzen. Die Schweiz hält sich deshalb möglichst heraus.

Und nicht zuletzt: der Föderalismus. Entscheidungskompetenzen werden möglichst dezentral gehalten. Zentralisiert wird nur, was zwingend nötig ist. Entschieden wird dort, wo die Entscheidung wirkt.

Diese Kombination aus Eigenverantwortung, Bürgernähe und Unabhängigkeit ist einzigartig. Sie ist der Schlüssel zum Erfolg der Schweiz. 

Das Paket Schweiz-EU wirkt kontraproduktiv.

Das Paket Schweiz-EU greift direkt in den sensibelsten Bereich der schweizerischen Identität ein. Mit der Integrationsmethode gestaltet, beschliesst und setzt die EU die allgemein gültigen Regeln in eigener Regie um. Diese gelten aber auch für die Schweiz. Selbst der Äquivalenzansatz führt faktisch dazu, dass der Schweizer Gesetzgebungsprozess zur nachgelagerten Pflichtübung ohne entscheidenden Mehrwert verkommt.

Gleichzeitig relativiert sich die Schweizer Neutralität. Die nahtlose Integration führt zu einer Angleichung des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kurses an die EU.

Die drei Säulen des schweizerischen Staatsverständnisses Eigenverantwortung, Bürgernähe und Unabhängigkeit werden direkt geschwächt. Die Schweiz würde in einen undefinierten Zustand geraten: als Nichtmitglied mit allen Pflichten, aber ohne Mitsprache und ohne tragfähige Perspektive für ihre Zukunft.

Wir wünschen der EU mehr Schweiz.

Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen klar: Die EU muss sich erneuern. Ihr Zentralismus stösst an Grenzen, während Europa global an Einfluss verliert. Die Chance liegt darin, ein neues Gleichgewicht zwischen zentraler Steuerung und regionaler Selbstbestimmung zu finden und die Bürgerrechte konkret zu stärken.

Dazu braucht es tragfähige Konzepte. Die Schweiz kann als Vorbild dienen. Ihre direkte Demokratie, ihr Föderalismus und ihre gelebte Eigenverantwortung zeigen, wie Entscheidungen nahe bei den Menschen getroffen werden können.

Welche Schlüsse die EU zieht, ist offen. Es ist nicht unsere Aufgabe, ihr vorzuschreiben, was zu tun ist. Für die Schweiz jedoch steht fest: Unter diesem Gesichtspunkt ist das Paket Schweiz-EU nicht zukunftsfähig. Wir möchten verhindern, dass sich das BIP pro Kopf langfristig dem viel tieferen EU-Durchschnitt angleicht.

Direkte Demokratie, Neutralität und Föderalismus sind das Fundament des Erfolgs der Schweiz. Sie können die Utopie einer neuen Gesellschaft zur Wirklichkeit machen.

Nicht nur für die Schweiz. Auch für Europa.

 
 

Das Stromabkommen. Passt die Lösung zum Problem?

Das Stromabkommen aus dem Paket Schweiz-EU stellt Importgarantie und Souveränität zueinander ins Spannungsfeld. Nach der institutionellen Betrachtung prüfen wir, wie es aus Bürgersicht inhaltlich abschneidet. In unserem Fazit fragen wir uns, wie so eine Vorlage entstehen konnte.

(c) 2017: Lisone, Cademario, Kanton Tessin, Schweiz, Foto: Maurizio Vogrig

Dieses Paket bricht mit der direkten Demokratie.

Das Paket Schweiz-EU stellt die direkte Demokratie der Schweiz in Frage. Nach dem EWR-Nein und dem Abbruch des Rahmenabkommens soll mit dem Paket Schweiz-EU jetzt alles anders sein. Wir sehen das nicht so und sagen: Es reicht! Und wir erklären, warum.

(c) 2015: Alpe Agra, Cademario, Kanton Tessin, Schweiz, Foto: Roland Voser

Paket Schweiz-EU: Time-out bitte.

Die Vernehmlassung zum Paket Schweiz–EU ist angelaufen. Ein positives Zeichen, denn die Diskussionen sind engagiert und erzeugen Resonanz. Die institutionelle Anbindung rückt ins Zentrum der Auseinandersetzungen. Eine Klärung würde der Vernehmlassung gut tun. Der vorliegende Artikel liefert den Anstoss dazu.

(c) 2013: Monte Generoso, Capolage, Kanton Tessin, Schweiz, Foto: Roland Voser

Dieses Paket zerreisst nicht nur die FDP. Es zerlegt die Schweiz.

Das Paket Schweiz-EU würde unser Land grundlegend und unwiderruflich verändern. Es geht um die Frage wer künftig unser Recht bestimmt, Brüssel oder wir. Zum 1. August 2025 mein Appell: Mischen Sie sich ein. Unsere Heimat gehört den Menschen nicht der Politik. Ein Blick auf die FDP zeigt warum.

(c) 2017: Capanna Monte Bar, Capriasca, Kanton Tessin, Schweiz, Foto: Roland Voser

Das Stromabkommen im Spannungsfeld zwischen Integration und Eigenständigkeit.

Das neue Stromabkommen (Elektrizität) im Spannungsfeld zwischen Integration und Eigenständigkeit ist ein zentrales Element des Pakets Schweiz–EU. Es offenbart im Perspektivenwechsel ein unerwartetes Ausmass an gegenläufigen Erwartungen der Vertragspartner. Wer eintauchen will, dieser Artikel ist die richtige Gelegenheit dazu.

(c) 2019: Alpe Agra, Cademario, Kanton Tessin, Schweiz, Foto: Roland Voser

Orginalwortlaut Stromabkommen - hier online verfügbar.

Vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen? Wir haben die 163 Seiten des Stromabkommens ordentlich strukturiert und im Originalwortlaut der EU auf unserer Website zur Verfügung gestellt. Wir leisten damit einen Beitrag zur Lesbarkeit dieses Abkommens. Wir hoffen, dass viele so einen einfacheren Zugang dazu finden und unser Angebot nützlich ist.

Was Leo zu neuen Schlossherren aus Brüssel meint.

Ein umfassendes Paket von Abkommen zur Festigung, Vertiefung und Erweiterung der bilateralen Beziehungen der EU zur Schweizerischen Eidgenossenschaft liegt jetzt auf dem Tisch. Es bildet die Grundlage für eine folgenschwere Entscheidung der Schweiz, die es ernsthaft auszuloten gilt.

(c) 2025, Schloss Wildegg, Möriken-Wildegg, Aargau, Schweiz, Foto: Roland Voser.

Das Paket Schweiz-EU muss nachverhandelt werden.

Hier finden Sie die Stellungnahme von smartmyway zum Paket Schweiz-EU im Rahmen der offiziellen Vernehmlassung.

(c) 2016: Gewittersturm, Cademario, Kanton Tessin, Schweiz, Foto: Roland Voser

smartmyway unterwegs.

(c) 2023: Luganese, Cademario, Kanton Tessin, Schweiz, Foto: Roland Voser

 

Seit 2018 Chief Editor, Mitbegründer, Verwaltungsrat und Teilhaber von smartmyway, Autor, Coach, Mentor und Berater. Vorher als Geschäftsführer von Media Markt E-Commerce AG, Media Markt Basel AG, Microspot AG sowie in den Geschäftsleitungen von Interdiscount AG und NCR (Schweiz) AG tätig. Heute Digital Business Coach und Schreiberling.

Experte für Digitalisierung, Agile SW-Entwicklung, Digital-Business, Handel, Sales & Marketing, E-Commerce, Strategie, Geschäftsentwicklung, Transformationen, Turn Around, Innovation, Coaching, erneuerbare Energien, Medien, Professional Services, Category Management, Supply Chain Management