Was Media Markt ausmachte und warum das so ist.

Wenn es ganz einfach wird. Dezentralität war und bleibt der Erfolgsfaktor Nummer 1 für Unternehmen. Ein erklärender Rückblick.

Die Dezentralität von MediaMarkt ist ein wunderbares unternehmerisches Schmuckstück. Selbst die Digitalisierung würde sie innig lieben.

Roland Voser, 3. Juli 2018

"Das Geheimnis unseres Erfolgs" betitelte MediaMarkt sein Konzepthandbuch. Etwas vom Besten, was ich je als Grundlage für die Geschäftstätigkeit einer Einzelhandelsunternehmung gelesen habe. Klar, pragmatisch, stringent, durchgängig, einfach, komplett, vollendet. Was hat im Kern den Erfolg dieser im November 1979 gegründeten Unternehmung ausgemacht?

Jetzt ist es also soweit.

Am 1.1.2003 startete ich als Geschäftsführer bei MediaMarkt und durfte die Unternehmung im Basler Hauptbahnhof aufbauen. Ich konnte quasi in eigener Regie meinen Markt gestalten: Mir wurden eine Top-Brand, ein komplettes Warenlager und dazu eine perfekte Infrastruktur vertrauensvoll übergeben. Es lag also an mir, dieser grossartigen Vorleistung gerecht zu werden und die mir im gleichen Zuge gewährte grosse unternehmerische Freiheit vorbehaltlos zum Wohle der Unternehmung einzusetzen.

Ich habe das mit grosser Freude getan. Wer darf schon als Rekrutierungsort für sein Team die VIP-Logen im Joggeli wählen (dem Fussballstadion vom FC Basel)? Und 80 Menschen aus 12 Nationen in wenigen Tagen eine neue Zukunftsperspektive konkret mit Vertrag bieten? Oder den Markt von Grund auf konzipieren, das Layout gestalten, die Pläne dazu kleben? Oder mit 4 Gewerkschaften während 4 Monaten Verhandlungen über verlängerte Öffnungszeiten führen und eine für alle Seiten positive Einigung erzielen? Oder die damals beste Eröffnung mit der Super-Billig-Bahn realisieren? Oder Lernende ausbilden, die heute als Fachkräfte den Unternehmenserfolg mitgestalten? Oder im für die Gruppe einzigartigen Social Club Nachwuchsbands eine kulturelle Plattform bieten und damit im immer etwas anders tickenden Basel seinen Platz finden?

Bye-Bye Benjo.

Dass mit Benjo eine treue Hundeseele stets in diesem Markt mit von der Partie war, rundet das Bild folgerichtig ab. Ja, das waren damals wunderbare Zeiten: Der Detailhandel rot-weiss-schwarz, laut, erfolgreich und mit einem Augenzwinkern, immer das Herz auf dem rechten Fleck. Benjo ist heute 14 Jahre alt, ein richtig alter Knabe halt, der Schalk aber immer noch ungebrochen in seinen Augen sichtbar. Dieser vertrauensvolle Begleiter aus vergangenen MediaMarkt-Zeiten steht so schön für die stationäre Dekade in meinem Berufsleben, jährlich geprägt durch weit über 10 Millionen Kunden mitten im Bahnhof, im Süden von Basel. Benjo ist und bleibt mein freundlicher MediaMarkt-Held.

Nach vielen Jahren realisiere ich erneut, was es eigentlich war: Dieses Geheimnis des Erfolgs von MediaMarkt. Keine komplizierten Philosophien, einfach schlicht der Mensch im Mittelpunkt. Freiheit und Verantwortung. Wenn Walter Gunz mir seine Gründerwerte nochmals nennt, dann so:

"Treue, Liebe und Verantwortung waren auch die Tugenden, hinter denen wir uns bei der Unternehmensgründung alle versammelt haben."

Was für Worte!

Welcher CEO würde diese Werte heute noch als Credo in seine Unternehmensphilosophie schreiben? Welcher Konzernchef würde sie glaubhaft vor Investoren vertreten? Welcher Manager würde mit seinen Teams während der Jagd nach Marktanteilen, Umsätzen und Profiten manchmal inne halten und daraus wieder Orientierung, Klarheit und neue Kraft schöpfen?

Die Antwort ist einfach: Man findet diese Visionäre, Nonkonformisten und Führungskräfte an den Spitzen erfolgreicher Firmen und Hochleistungsteams. Oft Menschenkenner der Extraklasse oder einfach Menschenmöger. Wie Gottlieb Duttweiler auch Legenden. Positive Bewunderung ist ihnen sicher. Oft erst nach ihrem Abgang.

Wunderbares Unternehmertum.

Mein Gott! Top-Business ist also doch eine Herzensangelegenheit! Nichts anderes. Um das andere kümmern sich die Profiteure, die Bewahrer ihrer eigenen Gewinne, nicht immer zum Vorteil der Firma. Dass naturgemäss gerade erfolgreiche Unternehmen solche Akteure in eigener Sache regelrecht anziehen, ist eine Ironie des Schicksals und befeuert dieses fatale Regelwerk.

Natürlich soll Spitzenleistung belohnt werden und nicht zu knapp. Trotzdem stellt dies eine ganz spezielle Herausforderung dar, die es für erfolgreiche Unternehmen permanent zu meistern gilt: Wie kultiviert man dieses Lebenselixier erfolgreicher Geschäfte, diese Sehnsucht am Schaffen, diesen Hunger nach Neuem, Fernem, vielleicht sogar Unerreichbarem, diese Freude an der Sache, an gemeinsamen Unternehmungen, dieses Teilhaben an Lebensprojekten, diese Leichtigkeit im Umgang mit Schwierigem, dieses Streben nach Überdurchschnittlichem, diese grossartige Zuversicht, diese wahrhaftige Ehrlichkeit, Offenheit, Verbindlichkeit im Miteinander? Wie findet man Seelenverwandte, die diese aufregende Reise mitgehen wollen?

Verstehen Sie, was ich meine?

Wie weist man Anti-Innovatoren in ihre Schranken? Wie kann man gutgemeinte Verwalter aus ihrer jahrelang gepflegten Komfortzone herausführen? Wie erkennt man überhaupt diese Meister der Tarnung? Wie erteilt man Oberflächlichem eine Absage? Wie erklärt man Verlierertum ohne Kampf zur Nulloption? Wie hilft man orientierungslos umher wandernden Mannschaften aus dem Tal der Tränen unverdauter Veränderungen? Oder wie soll das mit Beratern gehen, die tatsächlich von den Problemen ihrer Kunden leben und gerade diese lösen und damit ihre eigene Existenzgrundlage laufend eliminieren sollen?

Wie lässt man eine Chancen-Kultur entstehen, wie lässt man Ideen gedeihen, wie Unternehmen wachsen? Wie kann Nonkonformismus wertbringend in die Innovationskultur einfliessen und damit einhergehende potentielle Anarchie ohne Schaden zugelassen werden? Wann wird systematisch in Unternehmen über diese Fragen nachgedacht und daran zielführend, ernsthaft und ehrlich gearbeitet? Oft nicht oder nicht mehr, denn diese Antworten geben uns ausschliesslich Gründer oder Menschen in ihrem Geiste. Unternehmer auf eigenes Risiko, die skizzierte Chancen in tragfähige und dauerhafte Geschäfte verwandeln können.

Natürlich sind es nicht Systemmenschen, die bewegen und verändern. Wie auch? Sie würden ihr System, wiederum ihre Existenz, in Frage stellen, was damit per se unmöglich ist. Veränderung gefährdet. Wahre Veränderung schmerzt. Darum wird nur verändert, was tatsächlich unumgänglich zu verändern ist. Für alles andere reicht die Kraft heute nicht mehr.

Veränderung betrifft immer Existentielles Einzelner.

Es ist eine Frage der Perspektive. Nicht länger beobachtet von einem Zentrum aus in der Mitte des Panoptikums und selbst mit eingeschränkter Optik. Sondern in der Rolle des im Zentrum Stehenden, der alle Dinge überblicken und einordnen kann.

Es ist eine Frage des Überblicks. Die abteilungsorientierten Ansätze scheitern. Einfachheit funktioniert bottom-up nicht mehr. Die Lösung einzelner strategischer Probleme endet ohne Rückwärtsgang ausweglos in der Sackgasse. Sie lassen sich nicht mehr isolieren. Drehe ich an einer Schraube, bewegt sich irgendwo ausserhalb des eigenen Geschehens ein Teil in die entgegengesetzte Richtung, und zwar so, wie ich es nie für möglich gehalten hätte.

Berge entstehen, Täler verschwinden. Alles unmittelbar und unberechenbar.

Die Digitalisierung hat eine Komplexität in den Handel eingebracht, die nur noch Personen mit gewaltiger Selbstüberschätzung glauben alleine handhaben zu können. Die beteiligten Menschen akzentuieren das Gemenge mit ihrer an sich harmlosen Eigendynamik und potenzieren daraus im Gesamtkontext Gewitterstürme am Unternehmenshimmel oder nie mehr endende Eiszeiten. Ein umfassender klarer top-down Ansatz ist geschuldet. Kompromisslos. Nicht im Sinne einsamer Entscheidungen der Führungsetage. Sondern in der Sache: Das Gesamtverständnis miteinander erfassen, die besten Optionen erkennen und die erfolgsversprechendste ernsthaft in die Tat umsetzen. Hier wird Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg vital, die dazu erforderliche konstruktive Kultur matchentscheidend. Im Kleinen, wie im Grossen.

Niemand muss zu den Verlierern dieser Veränderung gehören. Was anderes soll Führungskräfte denn sonst auch antreiben? An der positiven Veränderung können alle teilhaben, solange sie ihren konstruktiven Beitrag leisten wollen und solange das Unternehmen nicht in der Alternative als Sanierungsfall zusammenbricht. Nicht einmal Können der Menschen ist vorausgesetzt - unbändiger Wille zum Lernen reicht. Daran orientiert sich unternehmerische Verantwortung. Daran orientiert sich die Führungskraft, die für sich in Anspruch nimmt, über das Wohl anderer entscheiden zu können. Fürsorge, Erfolg des Mitarbeiters, des Teams, der Unternehmung sind eng, durchgängig und untrennbar miteinander verknüpft, verwachsen, vereint.

Es ist die Frage des Gegenentwurfs. Die Lieblingsdisziplin des Handels - das Kopieren - hilft nicht mehr: Mit diesem Ansatz ist das Unternehmen heute und in Zukunft in der digitalen Welt nie mehr rechtzeitig am Start. Eigene Ideen sind gefragt, das Agieren ist die Maxime. Überholt werden heisst Stillstand, ja Rückschritt. Innovationskultur wird zur unentbehrlichen Zutat im Rezept für den Fortbestand und die Zukunftsfähigkeit. Kreation versus Verwaltung, Original versus Kopie: Der Krieg der unternehmerischen Urgewalten ist in vollem Gang. Die digitale Transformation ist in dieser Dekade an Dramatik nicht zu überbieten.

Freiheit und Verantwortung.

Ab dem 1.1.2013 durfte ich schliesslich als Geschäftsführer das E-Commerce-Geschäft bei MediaMarkt in der Schweiz neu aufbauen. Als ursprünglicher Ingenieur war diese Chance vielversprechend, einzigartig und hochspannend. Ich verstand sie auch als eine neue digitale Lebensperspektive.

Wiederum ging es darum, treue Seelen zu finden, die mit mir den Weg des Pioniertums, sprich: harter Arbeit gehen wollten. Ein tolles Team hat über die Jahre das Online-Geschäft bei MediaMarkt in der Schweiz zu dem gemacht, was es heute ist: Relevant für den Kunden, ein Pfeiler für die Unternehmung, anerkannt in der Branche.

Natürlich waren wir auch irgendwie wieder Gründer von Neuem. Damit unbequem und gegen viele Widerstände ankämpfend. Nicht immer systemkonform. "Notwendiges Übel" habe ich mal dazu gehört. Per Definition für alle anderen etwas Unartiges, Unliebsames, Störendes und gleichzeitig Hoffnungsvolles. Eine leicht verrückte Truppe halt. Und ja, tatsächlich haben wir alles selbst konzipiert, entwickelt, aufgebaut und betrieben. Ohne Hilfe. Aber mit viel Freiheit und Verantwortung. Und diesmal mit Katze.

So, jetzt aber genug. Jetzt ist es also soweit.

Per 30. Juni 2017 bin ich von all meinen Ämtern bei MediaMarkt zurückgetreten, stehe noch bis 30. September 2017 beratend zur Verfügung und bleibe noch einige Monate Teilhaber. Das ist gut so. Das Werk ist vollbracht und eine spannende Veränderung angesagt.

Ich habe mich oft gefragt, was es jetzt bei MediaMarkt zu bewahren gälte. Das dezentrale Geschäftsmodell? Die lokalen Geschäftsführer? Die Beteiligungen? Das Konzept? Die Marke? Den stationären Handel mit Grossmärkten? Den Warenansatz? Die Beschaffungsorientierung? Die Länderorganisationen? Preis, Auswahl und Marken? Omnichannel? Service? Customer Centricity? Kundenorientierung?

Eine wahrhaftige Kultur ist das Geheimnis des Erfolgs.

Sie vermuten richtig. Es ist ein klarer, konsequenter Schluss: Es sind die Werte. Sinn und Gründergeist. Die Tugenden Treue, Liebe und Verantwortung. Freiheit. Fehlerkultur. Pioniergeist. Team-Spirit. Toleranz. Interaktion. Zusammenarbeit. Gemeinsame Ziele. Eine gemeinsame Vision und Sehnsucht. Ungebrochenes Ringen nach Erfolg. Das alles gilt es zu bewahren. Es ist das Fundament. Darauf fusst jede Veränderung, jede Entwicklung, jedes Fortbestehen des Gemeinsamen, der Idee, der Unternehmung!

Tatsächlich waren das die Werte, die wir als später Dazugekommene bei MediaMarkt trotz vieler Nachinterpretationen von den Gründern wahrgenommen haben. Nicht an die Wand gepinnte Sprüche, sondern ein gemeinsames ehrliches Verständnis. Ein Miteinander, das uns mit unseren Teams stets Überdurchschnittliches leisten liess. Und das wir begeistert an unsere Nachkommen weiter gegeben haben. Jeder nach seiner Façon, jede, wie sie am besten konnte. Diese Buntheit war es, die letztlich die Unternehmung als Ganzes für Aussenstehende unfassbar, unberechenbar und unglaublich erfolgreich werden liess. Das kann ja alles nicht aus Unechtem entstehen, sondern eben nur aus Wahrhaftigem!

Der Irrtum, Freiheit an Erfolg zu koppeln, wird kontraproduktiv, bald dekadent, erstickt Innovation im Kern und behindert damit jede Veränderungsfähigkeit. Sie zementiert regelrecht das Bestehende. Gerade aber ausschliesslich konstruktive Werte bilden heute die unabdingbare Grundlage für ein erfolgreiches Meistern des bevorstehenden digitalen Tsunamis. Ja, sie sind tatsächlich das Einzige, das Bestand haben muss.

Denn dauerhaft kann Innovation nur in einer positiven, konstruktiven und pragmatischen Gründer-Kultur entstehen. Diese ist nicht verhandelbar, aber leicht zerbrechlich, wenn sie nicht gepflegt wird. Das verstehen die Menschen. Am Schluss wird es ganz einfach.

Was bleibt mir noch anzufügen?

Liebe Gründer. Ich danke Ihnen für alles, für die einmaligen Chancen und Jahre, die ich in dieser, Ihrer wunderbaren Unternehmung miterleben durfte. Ihr Roland Voser

Liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich danke Euch allen, dass Ihr diese einmaligen Werte mitgelebt habt und das auch in Zukunft noch tun werdet. Euer Roland

"It was a great honor and privilege to work for 15 years of my life for an enterprise with such wonderful values. Goodbye MediaMarkt."

 

P.S. Zu Walter Gunz sei sein Buch "Ich war doch nicht blöd" wärmstens empfohlen.

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Benjo war in Basel der Hund von Lukas.

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Multichannel ist uns damals bei E-Commerce zugelaufen.

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(c) 2018: Alpe Agra, Malcantone, Kanton Tessin, Schweiz. Foto: Roland Voser

 

Seit 2018 Chief Editor, Mitbegründer, Verwaltungsrat und Teilhaber von smartmyway, Autor, Coach, Mentor und Berater. Vorher als Geschäftsführer von Media Markt E-Commerce AG, Media Markt Basel AG, Microspot AG sowie in den Geschäftsleitungen von Interdiscount AG und NCR (Schweiz) AG tätig.

Experte für Digitalisierung, Digital-Business, Handel, Sales & Marketing, E-Commerce, Strategie, Geschäftsentwicklung, Transformationen, Turn Around, Innovation, Coaching, erneuerbare Energien, Medien, Professional Services, Category Management, Supply Chain Management