Rezept für systematische Kreativität.

Rezept für systematische Kreativität.

Ein Rezept zum systematischen Ideenschaffen in Unternehmen.

Leiden Sie oder Ihre Kollegen unter bleischwerer Ideenlosigkeit und sollten doch ein neues Angebot entwickeln? Da hilft Inspiration, Innovationen, Kreativität und Humor. Zur Unternehmensidee und wie sie systematisch entstehen kann.

Roland Voser 23. Januar 2019

Die Situation.

Die Idee.

Dreh- und Angelpunkt jeder Unternehmung ist letztlich dessen Unternehmensidee. Je grösser der Marktdruck wird, umso zentraler wird die Differenzierung eines Unternehmens und damit seiner Idee. Die Frage lautet: Was tut die Unternehmung einmaliger und besser als ihre Mitbewerber - was ist die Idee?

Der Handel befindet sich heute in einem grossen Umbruch. Man fragt sich, ob denn das nächste Effizienzprogramm ausreichen wird, um damit wieder am Markt bestehen zu können. Die Führungskräfte müssen beantworten, was sie tun wollen, damit wieder nachhaltig neue Umsätze möglich werden.

In Anbetracht der Entwicklungen der letzten Jahre muss man offensichtlich nüchtern feststellen, dass neuen Ideen bei angestammten Unternehmungen in der Regel spärlich erkennbar sind. Einen Roboter in ein Ladengeschäft zu stellen, kann Ausdruck dieser Ratlosigkeit sein.

Innovativ sein?

Wir haben uns oft gefragt, wie denn Innovation entstehen soll. Eine Antwort darauf war, dass ein innovationsfreundliches Klima helfen wird. Wir hatten das sogar mittels fest im Kalender eingeplanter Innovationsworkshops festgehalten. Wir hofften, dass wenn man einfach über Innovation spricht, sie damit auch entsteht. Und das viel Wahres: Positive Aussagen zu einer Innovationskultur ermutigen alle an dieser Kultur teilzunehmen, und sie werden ihren innovativen Beitrag zum Unternehmen leisten.

Aber es reicht nicht.

Wir müssen einen sicheren Weg finden, mit dem auch wir - selbst als uninspirierte und damit wohl normale Menschen - neue Ideen generieren können. Im Handel genügt es nicht mehr, dass einem eine Idee zufällig in den Schoss fällt. Eine Systematik ist gesucht, die uns hilft, über den Tellerrand zu schauen und unser Kreativ-Potential gezielt zu erschliessen.

Vera F. Birkenbihl - die aussergewöhnliche deutsche Managementtrainerin und Sachbuchautorin - beschäftigte sich jahrelang damit, wie aus Gehirnbesitzern Gehirnbenutzer werden können. Ihre daraus entstandenen Modelle und Instrumente präsentierte sie jeweils an zweistündigen Vorträgen vor grossem Publikum. Zum Thema Kreativität bietet sie unkonventionell ein systematisches Vorgehen an.

Lassen Sie uns hier einsteigen.

Die Geschichte.

Aufstieg.

Dieser Donnerstag hatte sehr sonnig begonnen. Der Wetterbericht meinte, dass es gegen Abend schneien würde. Ich befand mich mit der üblichen Verspätung, bereits unter erster Bewölkung, auf dem Weg hinauf auf unseren Hausberg, die Gisliflue. Der Weg über den Grat würde knapp zwei Stunden dauern und 400 Meter Höhendifferenz nach oben und wieder nach unten betragen, somit knapp 12'000 Schritte bedeuten und so das mir selbst gesetzte Tagesziel deutlich übertreffen.

Gelotologie und Lachen.

"Dann machen Sie einfach für 60 Sekunden den da", meint Birkenbihl in ihrem Vortrag über Gelotologie (die Wissenschaft der Auswirkungen des Lachens). Ihre Anti-Ärgerstrategien sind umwerfend und - jetzt kommt's - das Beste daran: sie wirken.

Ich also auf den letzten 250 Metern hinauf zum Gipfel, schon länger Stimmen hinter mir wahrnehmend, die immer näher kommen. Ein leichter Ärger macht sich bei mir bemerkbar: Eigentlich wollte ich diesen Artikel ungestört zu Faden schlagen und die Gedanken dazu im Diktat mit einer Standard-Smartphone-App festhalten. 

Aber diese beiden Frauenstimmen unterhalten sich ziemlich laut und immer lauter, weil immer noch näher kommend - sie haben also nicht, wie erhofft, den anderen Weg genommen, sondern wollen, wie ich, ganz nach oben. 

Sie kennen ihn auch - den leichten Ärger im Anflug.

Ich spreche schnaufend ins Gerät: "... die letzten 200 Meter hinauf auf die Krete, relativ steil, sogar ziemlich anstrengend, und ich höre hinter mir zwei Stimmen näher kommen, relativ rasch, die wohl noch ihre 30'000 Wörter des Tages hinter sich bringen müssen; zusammen wären das dann 60'000 ..."

Und dann mache ich während 60 Sekunden Folgendes: Ich verziehe mein Gesicht zu einem übertriebenen Lächeln, einem sehr breiten Grinsen - ein bei gleichzeitig angestrengter Atmung nicht ganz leichtes Unterfangen. Birkenbihl meint, dass so der damit in Aktion tretende Lachkinnmuskel im Gehirn einen chemischen Prozess in Gang setzen und meine Stimmung folglich wieder aufhellen würde.

Resonanz funktioniert.

Während 60 Sekunden Supergrinsen also. Die Zeit reicht gerade noch, dass ich - jetzt mit einem charmanten Lächeln im Gesicht - die beiden flott an mir vorbei ziehenden jungen Damen nett grüssen kann. Die erste, mit hellem Haar, lächelt mich etwas scheu an. Die Dunkelhaarigere lächelt aber offen zurück und meint, dass ich ja auch eine schwere Kamera zu schleppen hätte. So funktioniert das Birkenbihl'sche Resonanzgesetz: Sie lächeln, sie lächeln zurück.

Der Kreativprozess.

Systematische Methode.

Vera F. Birkenbihl nimmt im unten verlinkten Youtube-Video den Humor als Ausgangspunkt und entwickelt daraus eine Systematik für Kreativität, für die Entwicklung von Ideen

Schauen Sie sich den Vortrag von Beginn weg an - lassen Sie sich davon inspirieren.

Aber ich möchte Sie auf die Stelle ab Minute 44:00 besonders hinweisen. Birkenbihl entwickelt im Vorlauf dazu fesselnd und schlüssig anhand der Charakterisierung von Witzen die Grundlage für kreative Gedankenprozesse. Ab der erwähnten Stelle entwirft sie einen spannenden Ansatz, wie systematisch Kreativität entwickelt werden kann.

Kreativität im Unternehmertum.

Wir messen der Kreativität und damit der Unternehmensidee im Umfeld grosser Veränderungen offensichtlich eine wichtige Rolle bei. Denn unsere Fragen zu Unternehmen wollen immer zuerst Antworten zum Was und Wie. Der Einstieg ins Unternehmen, und damit seiner überzeugenden Grundidee, könnte also folgendermassen geschehen:

  1. Klärung des Begriffs "Unternehmen" - Verstehen wir alle darunter, dass damit nicht nur eine Firma gemeint sein muss, sondern Unternehmen im Sinne des Wortes "wir unternehmen etwas mit wohl überlegter Absicht"? Dass damit jegliche Unternehmen gemeint sein können? Auf welche Unternehmen wollen wir uns jetzt im Folgenden konzentrieren? Auf die Firma? Die Führungskraft? Ein individuelles, persönliches Projekt? Auf einen Teilaspekt einer Unternehmung?


  2. Klärung der tatsächlich gemeinsamen Ausgangslage - Sprechen wir alle vom Gleichen? Haben wir ein gemeinsames Verständnis über den übergeordneten Rahmen? Können wir miteinander ein daraus möglichst wahrscheinliches Zukunftsszenario ableiten, das unser Unternehmen nachhaltig beeinflussen wird? Wann sind Sachzwänge wirklich Sachzwänge und wann nicht? Wie frei sollen unsere Gedanken in diesem Prozess sein?


  3. Klärung der tatsächlich existierenden Kundenerwartung - Innerhalb von Fokusgruppen mit allen Stakeholdern wird das tatsächliche Kundenbedürfnis skizziert, das aktuell existiert und zukünftig mit grosser Wahrscheinlichkeit existieren könnte. Marktforschung mit Kundenumfragen oder statistische Trendinformationen runden das Bild dazu ab. Wie verhalten wir uns unterschiedlich zum Verhalten der 30ig-Jährigen? Wo übertragen wir unsere Vorstellung auf die Allgemeinheit?


  4. Klärung des tatsächlichen Handlungsbedarfs - Anhand der Ausgangslage und der Kundenerwartung sowie gegebenenfalls weiterer tatsächlich existierender und relevanter Sachzwänge aus dem Umfeld wird der tatsächliche Handlungsbedarf abgeleitet und damit zusätzlich zum Ist-Zustand der Soll-Zustand definiert. Sorgfältig bleiben dabei vorgefasste Meinungen oder persönliche Vorlieben der Stakeholder, ausgenommen der Kunden, in diesem Prozess nicht berücksichtigt, damit kein Rückfall ins Bewahren um des Bewahren willens erfolgen kann.


  5. Klärung der tatsächlich einmaligen Unternehmensidee - Hier kommt jetzt exemplarisch der Birkenbihl'sche "Kreativitätsgenerator" zum Zug. Er soll für die systematische Entwicklung der Unternehmensidee als Beispiel für ein mögliches Instrument eingesetzt werden. Dabei steht das Anlegen von Wortlisten im Zentrum: Sie listen zu einem Begriff frei Ihre Assoziationen auf, also alles, was Ihnen zu diesem Begriff einfällt.

    An sich eine verständliche und einfache Aufgabe, in der sich auch die allermeisten Brain-Stormings bewegen und leider nicht viel Erhellendes zu Tage bringen. Klar, dass die daraus entstehenden Ideen meistens enttäuschen und als altbekannt wahrgenommen werden. Der Kreativitätsprozess kommt erst dann zum Zug, wenn tatsächlich neue Ideen gefunden werden.

    Birkenbihl nennt dazu den Begriff der Bi-Soziation: Dabei geht es darum, dass Sie jetzt zu einem Begriff Dinge (also Bi-Soziationen) listen, die NICHTS (!) mit dem Begriff an sich zu tun haben. Es gilt also Dinge zu finden, die nicht - auch nicht über Umwege - mit dem Begriff verbunden sind. Und - sie misst mehreren Wortlisten (also verschiedene Begriff mit je deren Assoziationen) grosse Bedeutung zu, weil in deren Kombination ein weiteres grosses Kreativitätspotential liegt, denn damit können Bi-Soziationen gezielt entwickelt werden!

    Als Gedankenanstoss wären also aus der Sicht des Handels beispielsweise für die folgende Begriffe Assoziationen oder eben Bi-Soziationen zu suchen. Für Ihr Unternehmen sind möglicherweise andere Begriffe besser geeignet:

    a. Kunde im Handel
    b. Verhalten der heute 30ig-Jährigen
    c. Digitalisierung
    d. Technologie als Enabler
    e. Daten, die neue Währung
    f. Swissness
    g. Internationalität
    h. China
    i. Afrika
    k. Aktuelle Stärken Ihres Unternehmens


    Birkenbihl erklärt im Vortrag das Vorgehen Schritt für Schritt. Mit dieser Methode oder anderen wirkungsvollen Ansätzen können wir also Ideen generieren. Falls das Ergebnis nicht wunschgemäss ausfällt, muss der Prozess möglicherweise mit anderen Begriffen oder anderen Teilnehmern von Neuem bearbeitet werden.

    Wie auch immer - solche Kreativprozesse helfen entscheidend der Stärkung der Innovationskultur im Team, denn damit können alle Beteiligten an der Innovationserzeugung direkt teilnehmen und teilhaben. Ich messe diesem Umstand in Unternehmen genauso grosse Bedeutung, wie der eigentlichen Idee zu. Denn am Veränderungsprozess essentiell beteiligte Menschen verstehen ihn als Teil eines gemeinsamen Weges.


  6. Klärung des tatsächlichen Konzeptansatzes - Die kreierten Ideen werden bewertet und priorisiert. Daraus wird ein Ansatz abgeleitet, wie das Unternehmen konzeptionell umgesetzt werden kann. Mit diesem Resultat ist der eigentliche Kreativprozess für das Unternehmen abgeschlossen und der ganze Vorgang wird mit einem handfesten Kurzbericht bilanziert und dokumentiert.


Das weitere Vorgehen ist an sich bekannt (siehe dazu die Artikel "Wandel im Handel" und "Führung mit Stilbruch"). Nach einem Grundsatzentscheid stellt ein ordentliches Projektmanagement den Umsetzungserfolg sicher. Das ist unabdingbar, denn nach der kreativen Phase muss die Unternehmensidee in ein taugliches Geschäftsmodell überführt und dieses im Anschluss mit den Stakeholdern und insbesondere den Kunden verifiziert und final getestet werden.

Matchentscheidend dabei ist, dass es sich nicht um ein statisches Geschäftsmodell handelt, sondern sich an einem "Scrum for Business"-Ansatz orientiert (siehe Artikel "Sommerschnee"). Dazu gehört am Schluss ein realistischer Business Case, dessen Variantenempfehlung den höchstwahrscheinlichen Unternehmenserfolg untermauert und das Unternehmen durch den Auftraggeber mit einwandfreier Entscheidungsgrundlage freigegeben werden kann.

Humorsystematik.

Hier das passende Video zum Thema Humor ("Den da" - ab 1:36:45). Vera F. Birkenbihl macht das wunderbar. Da bleibt mir nur noch, Ihnen "Buona Visione!" - wie damals jeweils am Filmfestival von Locarno - zu wünschen.

Ich finde, es ist grosses Kino.

Ende der Geschichte.

Auf dem Rückweg hat es dann tatsächlich zu schneien begonnen.

Ich wandere an einem kleinen Schaufelbagger vorbei, mit dem der Fahrer einen Waldweg ausbessert. Und blicke zur Kabine. Da erschallt trotz eisiger Kälte ein herzliches Buongiorno! Es ist offensichtlich ein Rekrut aus der italienisch sprechenden Südschweiz, der sich hier mit seiner Truppe im Wald nützlich macht und seine Tessiner Freundlichkeit in diesen Deutschschweizer Winterwald mitgebracht hat.

Ich winke ihm und lächle zurück.

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smartmyway unterwegs.

(c) 2018: Gisliflue, Triangulationspunkt, Kanton Aargau, Schweiz. Foto: Roland Voser

 

Seit 2018 Chief Editor, Mitbegründer, Verwaltungsrat und Teilhaber von smartmyway, Autor, Coach, Mentor und Berater. Vorher als Geschäftsführer von Media Markt E-Commerce AG, Media Markt Basel AG, Microspot AG sowie in den Geschäftsleitungen von Interdiscount AG und NCR (Schweiz) AG tätig.

Experte für Digitalisierung, Digital-Business, Handel, Sales & Marketing, E-Commerce, Strategie, Geschäftsentwicklung, Transformationen, Turn Around, Innovation, Coaching, erneuerbare Energien, Medien, Professional Services, Category Management, Supply Chain Management